Messverfahren durch Verfolgung: Grundlagen der Geschwindigkeitsmessung müssen dem Urteil zu entnehmen sein

Messdaten sind nur dann objektiv, wenn ihnen exakt definierte Eckpunkte zugrunde liegen, anhand derer die Ergebnisse bewertet werden können. Dies veranlasste kürzlich das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG), einen Fall an das Amtsgericht (AG) zurückzuverweisen, dessen Urteil die erforderlichen Messdetails zu einer Geschwindigkeitsübertretung nicht zu entnehmen waren.

Messdaten sind nur dann objektiv, wenn ihnen exakt definierte Eckpunkte zugrunde liegen, anhand derer die Ergebnisse bewertet werden können. Dies veranlasste kürzlich das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG), einen Fall an das Amtsgericht (AG) zurückzuverweisen, dessen Urteil die erforderlichen Messdetails zu einer Geschwindigkeitsübertretung nicht zu entnehmen waren.

Das AG verurteilte einen Autofahrer wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 53 km/h sowie um 46 km/h zu einer Geldbuße von 640 EUR und einem einmonatigen Fahrverbot. Dagegen legte der Mann Rechtsbeschwerde ein und berief sich darauf, dass weder die nachgefahrene Strecke noch ein angemessener Toleranzabzug nachgewiesen seien.

Das OLG gab dem Mann recht. Zwar sei die Messung mit dem Messgerät (ProVida 2000/Vidista) ein standardisiertes Messverfahren. Aus dem amtsgerichtlichen Urteil müsse sich aber ergeben, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Geschwindigkeitsmessung beruhe. Dazu gehören insbesondere Angaben darüber, ob die Messung durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug heraus erfolgte, wie lang die Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Fahrzeug des Betroffenen waren, und welcher Toleranzabzug bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung vorgenommen worden sei. Diesen Anforderungen genügte das angefochtene Urteil nicht. Es enthielt weder Feststellungen zum Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Auto des Betroffenen noch einen bei der Geschwindigkeitsmessung berücksichtigten Toleranzabzug. Die Sache wurde durch das OLG daher an das AG zurückverweisen.

Hinweis: Ein Geschwindigkeitsverstoß kann durch Nachfahren nur bewiesen werden, wenn die Messstrecke ausreichend lang ist, ein gleichbleibender nicht zu großer Abstand zwischen Messfahrzeug und gemessenem Fahrzeug besteht, der Tachometer möglichst justiert/geeicht ist und die abgelesene Geschwindigkeit auf dem Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs die zulässige Höchstgeschwindigkeit so erheblich übersteigt, dass trotz Fehlerquellen und Ungenauigkeiten des Messverfahrens der Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung mit Sicherheit gerechtfertigt ist.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 15.07.2024 - 1 ORbs 144/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Abstrakte Verwechslungsgefahr: Selbstgefertigte Tempo-30-Schilder im Eilverfahren für unzulässig erklärt

Auf Wut mit "Dann mal dir doch ein Schild!" zu reagieren, mag auf Kundgebungen helfen - im Alltag ist von dieser Problemlösung jedoch abzuraten. Denn dass für Beschilderungen im öffentlichen Raum Eigeninitiative weniger gefragt ist, sollte klar sein. Zu viel spricht dagegen - so auch das Verwaltungsgericht Freiburg (VG), das im Eilverfahren entscheiden musste.

Auf Wut mit "Dann mal dir doch ein Schild!" zu reagieren, mag auf Kundgebungen helfen - im Alltag ist von dieser Problemlösung jedoch abzuraten. Denn dass für Beschilderungen im öffentlichen Raum Eigeninitiative weniger gefragt ist, sollte klar sein. Zu viel spricht dagegen - so auch das Verwaltungsgericht Freiburg (VG), das im Eilverfahren entscheiden musste.

Anwohner einer innerörtlichen Straße mit der geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h hatten selbstgebastelte Tempo-30-Schilder aufgestellt. Die runden Schilder zeigten die 30 in rot-grüner Umrandung, fünf laufende Kinder als Schattenbilder und das Wort "freiwillig". Das Landratsamt forderte die Betroffenen auf, die Schilder wegen Verwechslungsgefahr zu entfernen. Gegen den Bescheid klagten die Betroffenen im Eilverfahren.

Erwartungsgemäß entschied das VG, dass die Schilder zu entfernen seien. Die Gestaltung ermögliche es nicht, auf den ersten Blick zu erkennen, dass es sich um private Schilder handele. Die runde Form, die Größe und die Verwendung der Farbe Rot legten eine Verwechslung nahe - insbesondere bei fremdsprachigen Fahrern, die das Wort freiwillig unter Umständen nicht kennen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die automatischen Fahrerassistenzsysteme von Fahrzeugen des Landratsamts nach Erfassung des Schilds durchaus Tempo 30 anzeigten, was wiederum die Gefahr berge, dass dadurch unterschiedliche Tempi gefahren werden würden. Und dies stelle eben ein Sicherheitsrisiko dar, das den Verkehrsfluss beeinträchtige.

Hinweis: Es handelt sich um eine Entscheidung im Eilverfahren, eine Hauptsacheentscheidung steht noch aus. Ob eine Verwechslungsgefahr vorliegt, beurteilt sich nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nach dem Gesamtbild des Schilds, wie es sich einem flüchtigen Betrachter darstellt. Für die Möglichkeit der Verwechslung besteht eine erforderliche, aber auch genügende abstrakte Gefahr, die hier angenommen wurde.


Quelle: VG Freiburg, Beschl. v. 08.08.2024 - 6 K 2026/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Erbschaftsbesitzer oder nicht? Keine automatischen Auskunftsansprüche gegenüber Hausgenossen eines Erblassers

Wer Gegenstände aus einer Erbschaft in Besitz nimmt, ohne selbst Erbe zu sein, wird als "Erbschaftsbesitzer" bezeichnet und ist Erben gegenüber grundsätzlich zur Herausgabe dieses Besitzes verpflichtet. Damit der Erbe feststellen kann, ob Gegenstände unberechtigterweise im Besitz eines solchen Erbschaftsbesitzers sind, steht ihm ein Auskunftsanspruch zu. Dieser war Kern eines Rechtsstreits vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG).

Wer Gegenstände aus einer Erbschaft in Besitz nimmt, ohne selbst Erbe zu sein, wird als "Erbschaftsbesitzer" bezeichnet und ist Erben gegenüber grundsätzlich zur Herausgabe dieses Besitzes verpflichtet. Damit der Erbe feststellen kann, ob Gegenstände unberechtigterweise im Besitz eines solchen Erbschaftsbesitzers sind, steht ihm ein Auskunftsanspruch zu. Dieser war Kern eines Rechtsstreits vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG).

Nach dem Tod des Erblassers forderte der Erbe von den Mitbewohnern des Erblassers Auskunft über den Nachlass. Diese Auskunft sollte Angaben zu den Kontobewegungen, Nachlassgegenständen und möglichen Schenkungen enthalten. Die beklagten Mitbewohner hatten bereits Jahre vor dem Erbfall ein Grundstück des Erblassers erworben und ihm in der Immobilie ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt. Zudem hatte der Erblasser einem der Mitbewohner eine Vorsorgevollmacht erteilt.

Nachdem das Landgericht zunächst noch teilweise einen Auskunftsanspruch anerkannt hatte, war das OLG der Ansicht, dass ein solcher Anspruch überhaupt nicht bestehe. Die Hausgenossen und Mitbewohner waren bereits vor dem Erbfall in die Nutzung und Verwaltung des Nachlasses eingebunden, was einen Auskunftsanspruch, wie er Erbschaftsbesitzern gegenüber bestünde, die den Besitz erst durch die Erbschaft erlangen, ausschließe. Zwar gebe es auch Verpflichtungen von Hausgenossen gegenüber den Erben zur Erteilung einer Auskunft. Diese beschränken sich aber nur darauf, welche erbrechtlichen Geschäfte geführt worden sind und was den Hausgenossen über den Verbleib von Erbschaftsgegenständen bekannt ist. Insbesondere sind Hausgenossen nicht dazu verpflichtet, ein vollständiges Nachlassverzeichnis zu erstellen. Soweit die Hausgenossen zu einer Auskunft verpflichtet sind, waren sie dieser bereits nachgekommen.

Hinweis: Ein Anspruch auf Rechnungslegung kann nach der Entscheidung des OLG gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn ein solcher Anspruch jahrelang nicht geltend gemacht wurde. Maßgebend hierbei ist bereits die Nichtgeltendmachung durch den Erblasser.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Urt. v. 07.05.2024 - 3 U 90/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Richteramt missbraucht: BGH bestätigt Urteil gegen Thüringer Familienrichter wegen Rechtsbeugung

Auch wenn die Corona-Pandemie vorüber scheint - die Gerichte beschäftigt sie aber noch immer und womöglich noch länger. Lang erwartet wurde die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu einem im August 2023 ergangenen Urteil über einen Familienrichter, der sein Amt dazu benutzt hatte, dass Corona-Schutzmaßnahmen in Schulen nicht durchgesetzt werden können.

Auch wenn die Corona-Pandemie vorüber scheint - die Gerichte beschäftigt sie aber noch immer und womöglich noch länger. Lang erwartet wurde die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu einem im August 2023 ergangenen Urteil über einen Familienrichter, der sein Amt dazu benutzt hatte, dass Corona-Schutzmaßnahmen in Schulen nicht durchgesetzt werden können.

Der Familienrichter erließ im April 2021 eine einstweilige Anordnung, die es den Leitungen und Lehrkräften zweier Weimarer Schulen untersagte, einzelne der seinerzeit geltenden Maßnahmen des Infektionsschutzes zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 gegenüber den dort unterrichteten Kindern durchzusetzen. Die Entscheidung des Richters war wohlvorbereitet. Schon Anfang 2021 hatte er die Absicht zu dieser Entscheidung gefasst und zielgerichtet dafür gesorgt, dass diese Verfahren in seinem Zuständigkeitsbereich landen. Sonst hätte die Gefahr bestanden, dass ein anderer Richter entscheidet, und das nicht in seinem Sinne. Der Familienrichter wollte "seine" Entscheidung auf Biegen und Brechen treffen.

Der BGH bestätigte das ergangene Urteil des Landgerichts Erfurt (LG), da der Richter sein Richteramt zielgerichtet benutzt und missbraucht hatte. Er hatte sogar über seine private E-Mail-Adresse Kontakt zu Gutachtern aufgenommen, die seine Meinung zur Pandemie stützten. Diese habe er dann im Verfahren eingesetzt, um seine Anordnung treffen zu können. Das ist Rechtsbeugung. Somit hat das Urteil des LG vor dem BGH Bestand, mit dem der Angeklagte wegen Rechtsbeugung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war.

Hinweis: Das Handeln des Richters zeugt von einiger krimineller Energie. Sollte in Ihrem Verfahren ein Richter wesentliche Verfahrensgrundsätze außer Acht lassen, offensichtlich eigene Ziele verfolgen oder "blind" zu einer Seite tendieren, dann lehnen Sie ihn ab! Sie haben ein Recht auf eine neutrale Verfahrensleitung, dies muss eingefordert werden! Gerade, wenn es um Kinder geht, darf die Justiz nicht ihre eigenen Wege gehen!


Quelle: BGH, Urt. v. 20.11.2024 - 2 StR 54/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Verfahrensbeistand: Mehr als die Fallpauschale gibt es in Sachen Verfahrenskosten nicht

In familienrechtlichen Verfahren kann es angezeigt sein, einen Verfahrensbeistand zu bestellen. Dieser erhält als Vergütung eine gesetzlich vorgesehene Fallpauschale. Kann dieser, wenn er in seiner Funktion als Beistand selbst etwas verauslagt, das dann on top erhalten? Meistens nicht, wie der folgende Fall zeigt, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

In familienrechtlichen Verfahren kann es angezeigt sein, einen Verfahrensbeistand zu bestellen. Dieser erhält als Vergütung eine gesetzlich vorgesehene Fallpauschale. Kann dieser, wenn er in seiner Funktion als Beistand selbst etwas verauslagt, das dann on top erhalten? Meistens nicht, wie der folgende Fall zeigt, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

In einem familienrechtlichen Verfahren wurde ein Verfahrensbeistand für eine Frau bestellt. Diese war Araberin und sprach schlecht Deutsch, so dass der Beistand einen Dolmetscher engagierte. Das war aus richterlicher Sicht auch angezeigt. Der Dolmetscher stellte schließlich 207 EUR in Rechnung, die der Verfahrensbeistand auch beglich. Natürlich machte er die 207 EUR neben seiner gesetzlichen Vergütung dann auch geltend und beantragte die Festsetzung seiner Beistandskosten und der Auslage als zusätzliche Kosten. Damit scheiterte er jedoch vor dem BGH.

Der Vergütungsanspruch des berufsmäßigen Verfahrensbeistands ist laut § 158c Abs. 1 Satz 1 und 2 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheitend der freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt. Der Verfahrensbeistand erhält demnach eine Pauschale, die auch die Aufwendungen des Verfahrensbeistands umfasst - seine Fahrtkosten, aber auch etwaige Dolmetscherkosten für Gespräche mit dem Kind und/oder seinen Eltern. Ein Verfahrensbeistand muss mit seinen "Schützlingen" schließlich sprechen können. Daher ist es grundsätzlich bei Sprachbarrieren geboten, einen Dolmetscher zu engagieren. Da die Kommunikation aber Hauptaufgabe des Beistands ist, ist es auch gerechtfertigt, die Kommunikationskosten über die Pauschale abzugelten. Sonst würde man die Kosten "durch die Hintertür" zu Gerichtskosten machen können.

Hinweis: Prüfen Sie immer genau, was Ihr Beistand abrechnet. Nur so vermeiden Sie es, dass die Kostenlast versteckt über vermeintliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder eines anderen Sachverständigen in die Höhe getrieben wird.


Quelle: BGH, Beschl. v. 25.09.2024 - XII ZB 110/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Eheschließungserklärung: Onlineform der Eheschließung in Deutschland nicht wirksam

Eheschließungserklärungen sind auch in Deutschland möglich. Sie müssen aber von den Eheschließenden vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgegeben werden. Eine von Deutschland aus per Videotelefonie vor einem Standesbeamten in den USA geschlossene Ehe ist in Deutschland hingegen unwirksam, wie diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt.

Eheschließungserklärungen sind auch in Deutschland möglich. Sie müssen aber von den Eheschließenden vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgegeben werden. Eine von Deutschland aus per Videotelefonie vor einem Standesbeamten in den USA geschlossene Ehe ist in Deutschland hingegen unwirksam, wie diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt.

Zwei nigerianische Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland schlossen im Mai 2021 per Videotelefonie die Ehe vor einer US-amerikanischen Behörde im Bundesstaat Utah. Die Eheleute befanden sich während der Eheschließung in Deutschland. Ihre Erklärungen gaben sie über eine zeitgleiche Übertragung in Bild und Ton gegenüber der Behörde in Utah ab und erhielten anschließend eine amerikanische Eheurkunde mit Apostille (eine Beglaubigungsform im internationalen Urkundenverkehr). Als die beiden nun auch in Deutschland heiraten wollten, wurde die amerikanische Eheschließung durch das Amtsgericht als unwirksam bezeichnet. Dagegen legten die Männer Beschwerde ein.

Sie unterlagen vor dem BGH, denn Art. 13 Abs. 4 Satz 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch besagt, dass eine Ehe im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden könne. Demnach müssen die Erklärungen der Eheschließenden vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgegeben werden. Bei einer Eheschließung im Ausland könne auch das gegebenenfalls weniger strenge Recht des Eheschließungsorts angewendet werden. Da im vorliegenden Fall die Eheschließungserklärungen jedoch in Deutschland abgegeben wurden, kann nur deutsches Recht zur Anwendung kommen und damit auch die in Deutschland vorgeschriebene Form. Da sich die Eheleute nicht daran gehalten hatten, ist die Ehe nun unwirksam.

Hinweis: Will man heiraten oder andere Rechtsgeschäfte tätigen, sollte man sich immer nach den Formvorschriften des Orts des gewöhnlichen Aufenthalts richten. So geht man bei der Anerkennung des Rechtsgeschäfts auf Nummer sicher!
 
 
 


Quelle: BGH, Beschl. v. 25.09.2024 - XII ZB 244/22
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Zur Wahrheitsfindung: Ergänzungspflegschaft ist auch bei möglicher Interessenkollision geboten

Besteht zwischen Vormund und Mündel ein Interessengegensatz, kann dem Vormund die Vormundschaft entzogen werden (§ 1789 Abs. 2 Satz 4 Bürgerliches Gesetzbuch) - und zwar ganz oder teilweise. Dieses Urteil, in dem das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) die diesbezügliche Entscheidung der Vorinstanz bestätigte, zeigt deutlich, wann und warum dies angebracht sein kann.

Besteht zwischen Vormund und Mündel ein Interessengegensatz, kann dem Vormund die Vormundschaft entzogen werden (§ 1789 Abs. 2 Satz 4 Bürgerliches Gesetzbuch) - und zwar ganz oder teilweise. Dieses Urteil, in dem das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) die diesbezügliche Entscheidung der Vorinstanz bestätigte, zeigt deutlich, wann und warum dies angebracht sein kann.

Strittig war hier die Vertretungsbefugnis einer Kindsmutter. Sie wollte die Entscheidung für ihr 14-jähriges Kind treffen, ob sich dieses in einem Verfahren gegen seinen Vater als Nebenkläger anschließt. Dem Kindsvater wurde der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes gemacht. Das Amtsgericht (AG) setzte daher eine Ergänzungspflegschaft für die Frage des Anschlusses als Nebenklägerin im Strafverfahren gegen den Vater und gegebenenfalls zur Vertretung der Nebenklage im Strafverfahren ein. Das AG begründete dies damit, dass auch zwischen Mutter und Kind ein Interessengegensatz in dieser Frage nicht ausgeschlossen werden könne.

Die Entscheidung des AG wurde vor dem OLG bestätigt. Entscheidend für die Frage der Ergänzungspflegschaft ist es, ob ein erheblicher Interessengegensatz tatsächlich bestehe oder zumindest ernsthaft drohe. Hier kann eine Interessenkollision zum Beispiel deswegen bestehen, weil der Vater erstinstanzlich freigesprochen wurde, die Mutter den Vater dabei schwer belastet hatte und in der ersten Instanz Verfahrensfehler angemahnt wurden. Dennoch könne sich das Kind aber Umgang mit seinem Vater wünschen und eigene Angaben zum Tatvorwurf machen wollen. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Loyalitätskonflikt des Kindes in Bezug auf die Erwartungen der Mutter bestehe. Diese Möglichkeiten bergen die Gefahr, dass das Kind unter dem Druck der Mutter im Verfahren eben das sagt, was die Mutter hören wolle. Diesem Konflikt wollte das AG entgegenwirken, und das OLG gab diesen Bedenken recht.

Hinweis: Es kommt immer auf die Sicht des Mündels an. Können hier Konflikte entstehen, Drucksituationen oder gar Ängste geschürt werden, ist eine Pflegschaft anzudenken. So kann jeder neutral und unbefangen agieren. Dies wiederum dient in gerichtlichen Verfahren der Wahrheitsfindung. Nur so können gerechte Urteile und Beschlüsse gefällt werden.


Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 20.11.2024 - 2 WF 121/24 e
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Orientierung am Kindeswohl: Familiengericht muss ermitteln, bis es fundiert entscheiden kann

Für ein Familiengericht muss das Kindeswohl an oberster Stelle stehen. Unterlässt es ein Gericht, Ergebnisse aus seiner Amtsermittlungspflicht heraus als Basis für eine fundierte Entscheidung vorzulegen, muss es nochmals ran - so wie das Landgericht (LG) nach einer entsprechenden Entscheidung des nachfolgenden Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG).

Für ein Familiengericht muss das Kindeswohl an oberster Stelle stehen. Unterlässt es ein Gericht, Ergebnisse aus seiner Amtsermittlungspflicht heraus als Basis für eine fundierte Entscheidung vorzulegen, muss es nochmals ran - so wie das Landgericht (LG) nach einer entsprechenden Entscheidung des nachfolgenden Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG).

Eine Serbin und ein Deutscher haben drei gemeinsame Kinder. Als die Eltern sich trennten, blieben die Kinder zunächst beim Vater. Dann wollte die Mutter die Kinder wieder bei sich haben und klagte dies auch ein. Sie beschuldigte den Vater der generellen Gewalttätigkeit, des Drogenkonsums sowie der Vergewaltigung. Er habe bereits 1.000 EUR Strafen zahlen müssen und auch seinen Führerschein verloren. Der Vater wiederum beschuldigte die Mutter, dass diese keinen Tagesablauf regeln könne, toxisch sei und sie die Kinder nicht in den Kindergarten bringe. Das Ganze mündete in einer Scheidung und einem streitigen Verfahren um das Sorge- und Umgangsrecht.

Hier wurden die Kinder zunächst der Mutter zugesprochen, doch der Vater wollte das nicht auf sich sitzen lassen, so dass der Fall schließlich beim OLG landete. Dieses entschied aber nicht, sondern verwies den Rechtsstreit wieder zurück an das LG, das seiner Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen sei. Familiengerichte müssen den Sachverhalt nämlich so weit aufklären, dass er eine möglichst zuverlässige Tatsachengrundlage bildet. Erst aufgrund derer könne dann eine am Wohl des Kindes orientierte Entscheidung getroffen werden. Bei Entscheidungen von großer Tragweite - wie der zum Aufenthalt des Kindes - kann auch die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens erforderlich sein. Wurde dieses nicht eingeholt, kann die Sache zurückverwiesen werden.

Hinweis: Geht es bei Ihnen auch um derart existentielle Entscheidungen, dann achten Sie darauf, dass das Gericht alle möglichen Aufklärungsmaßnahmen ausschöpft, bevor es entscheidet. Tut es das nicht, dann regen Sie die weitere Aufklärung an.


Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.10.2024 - 20 UF 63/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Außertarifliches Gehalt: Selbst ein geringer Abstand zur höchsten tariflichen Entgeltgruppe genügt den Anforderungen

Die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens nehmen Arbeitnehmer aus, deren "geldwerte materielle Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 40 Stunden in einer Gesamtschau diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten". Im Folgenden beanstandete ein außertariflich Beschäftigter, dass dieses "Überschreiten" nicht hoch genug ausfiele, und verlangte mehr Geld. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war final gefragt.

Die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens nehmen Arbeitnehmer aus, deren "geldwerte materielle Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 40 Stunden in einer Gesamtschau diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten". Im Folgenden beanstandete ein außertariflich Beschäftigter, dass dieses "Überschreiten" nicht hoch genug ausfiele, und verlangte mehr Geld. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war final gefragt.

Der Arbeitnehmer war Mitglied der IG Metall und als Entwicklungsingenieur auf Grundlage eines als außertariflich bezeichneten Arbeitsvertrags beschäftigt. Er erhielt eine monatliche Bruttovergütung von 8.212 EUR. Das Entgelt in der höchsten tariflichen Entgeltgruppe betrug - hochgerechnet auf 40 Wochenstunden - 8.210,64 EUR brutto. Der Abstand zwischen dem höchsten Tarifgehalt und dem für den Arbeitnehmer geltenden außertariflichen Gehalt betrug also 1,36 EUR. Den hielt der Entwicklungsingenieur angesichts der geltenden Regeln für zu gering und forderte eine höhere Vergütung - mit der Begründung, dass sein Gehalt einen gewissen Mindestabstand zur höchsten tariflichen Entgeltgruppe aufweisen müsse.

Das BAG sah das allerdings anders. Seine Entscheidung begründete das Gericht damit, dass die im Streitfall einschlägigen tariflichen Bestimmungen verlangten, dass die geldwerten materiellen Arbeitsbedingungen diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten. Die Voraussetzungen seien erfüllt. Denn aufgrund der Tatsache, dass die Tarifvertragsparteien die Höhe der Überschreitung nicht festgelegt haben, genüge nach dem Wortlaut auch ein nur geringfügiges Überschreiten des höchsten tariflichen Entgelts. Das lag hier vor.

Hinweis: Außertarifliche Arbeitnehmer haben also grundsätzlich keinen Anspruch auf einen bestimmten Mindestabstand zum höchsten Tarifgehalt. Deshalb sollten sie jährliche Gehaltsverhandlungen führen.


Quelle: BAG, Urt. v. 23.10.2024 - 5 AZR 82/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Betriebliche Arbeitspausen: Flexible Festlegung der Pausen bei entsprechend betrieblichen Erfordernissen möglich

Pausenzeiten müssen nicht immer bereits zu Beginn des Arbeitstags feststehen - lediglich bei Pausenbeginn muss ein Arbeitnehmer wissen, wie lange er Erholungspause hat und somit frei über diesen Zeitraum verfügen kann. Dieser Auffassung ist jedenfalls das Bundesarbeitsgericht (BAG). Anlass für diese Konkretisierung war die Klage eines Mannes, der sich durch die Umstände seiner Pause offenbar gegängelt fühlte.

Pausenzeiten müssen nicht immer bereits zu Beginn des Arbeitstags feststehen - lediglich bei Pausenbeginn muss ein Arbeitnehmer wissen, wie lange er Erholungspause hat und somit frei über diesen Zeitraum verfügen kann. Dieser Auffassung ist jedenfalls das Bundesarbeitsgericht (BAG). Anlass für diese Konkretisierung war die Klage eines Mannes, der sich durch die Umstände seiner Pause offenbar gegängelt fühlte.

Der Arbeitnehmer war von 1988 bis Ende Mai 2022 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Er fühlte sich in seiner Pausengestaltung in der Kantine gestört und wollte diese Zeit daher vergütet bekommen - schließlich habe er sich dabei in ständiger Bereitschaft befunden. Allein die Möglichkeit, dass der dort angebrachte Monitor durch entsprechendes (stummes) Aufblinken auf eine Störung hinweisen und er von einem Vorgesetzten gebeten werden könne, die Arbeit aufzunehmen, um nach der Störung zu gucken, habe ihn in eine ständige Bereitschaft versetzt. Seine Pausen seien deshalb nur eingeschränkt erholsam.

Das BAG lehnte den Anspruch auf Vergütung eines Bereitschaftsdienstes ab. Es stellte klar, dass die Festlegung der Pausen rechtmäßig war. Denn § 4 Satz 1 Arbeitszeitgesetz verlange zwar, dass die Pausen grundsätzlich im Voraus feststehen. Verlangen die betrieblichen Erfordernisse allerdings im Einzelfall mehr Flexibilität, reiche es, wenn die Arbeitnehmer im Zweifel vor Beginn ihrer Pause wissen, dass und wie lange ihnen nun eine Ruhezeit zusteht. Auch die Behauptung des Arbeitnehmers, er habe sich in einer ständigen "Hab-Acht-Stellung" befunden, wies das BAG zurück. Es argumentierte, dass der Arbeitnehmer in keiner Weise gezwungen gewesen sei, seine Mittagspause in der Kantine zu verbringen. Es sei vielmehr offensichtlich seine freie Entscheidung gewesen, denn er habe nichts Gegenteiliges dazu vorgetragen. Vielmehr habe sein Arbeitgeber klargestellt, dass der Arbeitnehmer völlig frei in seiner Entscheidung sei, wo er seine Pause verbringe. Und das muss eben nicht die betriebseigene Kantine mit den Störungsmeldermonitoren sein, wo der Arbeitgeber auch Zugriff auf die Arbeitskapazitäten habe.

Hinweis: Die Pause während der Arbeitszeit dient der Erholung. Arbeitnehmer können über ihre Pausenzeiten frei verfügen und dürfen die Zeiten frei gestalten.


Quelle: BAG, Urt. v. 21.08.2024 - 5 AZR 266/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)