Unbeachtlicher Motivirrtum: Erbschaftsausschlagung sollte nie auf reinen Einschätzungen beruhen

Immer wieder müssen sich Gerichte mit den Voraussetzungen einer erfolgreichen Anfechtung einer Erbschaftsausschlagung beschäftigen. Grundlage ist die Annahme, dass derjenige, der die Erbschaft ausschlug, sich derart über Zusammensetzung und Wert irrte, dass ihm dabei ein beachtlicher Irrtum unterstellt werden darf. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) stellte klar, wie hoch die Hürden hierfür sind.

Immer wieder müssen sich Gerichte mit den Voraussetzungen einer erfolgreichen Anfechtung einer Erbschaftsausschlagung beschäftigen. Grundlage ist die Annahme, dass derjenige, der die Erbschaft ausschlug, sich derart über Zusammensetzung und Wert irrte, dass ihm dabei ein beachtlicher Irrtum unterstellt werden darf. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) stellte klar, wie hoch die Hürden hierfür sind.

Der geschiedene und kinderlose Erblasser verstarb ohne Testament. Die gesetzlichen Erben - die Schwester des Erblassers sowie deren Abkömmlinge - schlugen die Erbschaft form- und fristgerecht aus. Da keine weiteren Erben gefunden wurden, fiel die Erbschaft an den Fiskus. Mehrere Jahre später stellte sich jedoch heraus, dass durchaus noch ein weiterer Erbe vorhanden war. Dieser beantragte einen Erbschein und gab hierbei einen Nachlasswert von ca. 51.000 EUR an. Als einer der Ausschlagenden hiervon Kenntnis erlangte, erklärte er die Anfechtung seiner Ausschlagung wegen Irrtums. Er sei zum damaligen Zeitpunkt davon ausgegangen, dass der Nachlass überschuldet gewesen sei. Grundlage seiner Annahme war, dass eine Immobilie aufgrund eines vorhandenen lebenslangen Wohnrechts im Wert deutlich gemindert war und es im Zusammenhang mit dem Tod des Erblassers Mahnungen Dritter sowie Nachweise über ein überzogenes Konto gegeben habe. Er erklärte, dass er die Ausschlagung vorgenommen habe, um einen finanziellen Schaden zu vermeiden.

Das Amtsgericht entschied zunächst, dass es sich um einen beachtlichen Eigenschaftsirrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses gehandelt habe, und bewertete die Anfechtung als wirksam. Hiergegen richtete sich die Beschwerde des nachträglich ermittelten Erben, die vor dem OLG erfolgreich war. Das OLG präzisierte hierbei eine bereits bestehende Rechtsprechung, die davon ausgeht, dass eine Überschuldung eine derartige Eigenschaft darstellen kann, wenn sie auf falschen Vorstellungen über konkrete Vermögenswerte oder Schulden beruht. Nicht die Überschuldung selbst ist hierbei aber die Eigenschaft, sondern nur die Zusammensetzung des Nachlasses, also der Bestand an Vermögen und Schulden. Nur wenn sich der Erklärende hierbei über konkrete wertbildende Faktoren geirrt hat, kann der Irrtum als beachtlich betrachtet werden - beispielsweise, wenn der Ausschlagende fälschlicherweise annimmt, ein bestimmtes Konto gehöre nicht zum Nachlass oder aber bestimmte Schulden seien nicht Gegenstand dieses Nachlasses. Zwar wusste der hier Ausschlagende von der Immobilie des Erblassers, konnte aber nicht benennen, über welche konkreten Schulden oder Vermögenswerte er sich geirrt habe. Seine damalige Einschätzung beruhte daher lediglich auf einer eigenen Bewertung und unsicheren Annahmen, und dies genüge dem Anspruch auf einen beachtlichen Motivirrtum nicht. Aus diesem Grund scheiterte die Anfechtung der Ausschlagungserklärung.

Hinweis: Ein rechtlich unbeachtlicher Motivirrtum liegt immer dann vor, wenn man aus persönlichen Gründen, wie etwa Befürchtungen oder Spekulationen, eine Erklärung abgibt.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 01.07.2025 - I-3 W 63/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 09/2025)

Nutzlos aufgewendete Urlaubszeit: Kommentarlose Kofferrückgabe ist als Absage zu verstehen und zieht Schadensersatzansprüche nach sich

In diesem Fall bekam eine urlaubsreife Familie nicht etwa die weite Welt, sondern nur den heimischen Flughafen zu sehen - und das gleich zweimal, beide Male umsonst. Dass der unverschuldet geplatzte Urlaub Schadensersatzforderungen nach sich zieht, war erwartbar. Was das Landgericht Frankfurt am Main (LG) dabei aber zudem zu bewerten hatte, war, wie hoch dieser Anspruch ausfallen kann.

In diesem Fall bekam eine urlaubsreife Familie nicht etwa die weite Welt, sondern nur den heimischen Flughafen zu sehen - und das gleich zweimal, beide Male umsonst. Dass der unverschuldet geplatzte Urlaub Schadensersatzforderungen nach sich zieht, war erwartbar. Was das Landgericht Frankfurt am Main (LG) dabei aber zudem zu bewerten hatte, war, wie hoch dieser Anspruch ausfallen kann.

Eine Familie hatte eine zweiwöchige Pauschalreise nach Fuerteventura gebucht. Der Hinflug sollte am 27.05.2022 stattfinden, fiel aber aus. Der Veranstalter kündigte dann einen neuen Flug für den Abend des 28.05. an. Die Familie erschien rechtzeitig am Flughafen und wurde mit dem Bus zum Flugzeug gebracht. Doch dort durften sie nicht einsteigen. Stattdessen wurde das Gepäck wieder ausgeladen - und zwar alles ohne Erklärung. Am Abend teilte der Veranstalter dann mit, dass auch dieser Flug nicht stattfinden werde. Die Familie solle ihr Gepäck am Förderband abholen. Einen weiteren Ersatzflug versprach der Veranstalter zwar für den 29.05. Doch die Familie reiste nicht mehr mit und forderte nun stattdessen eine Entschädigung für die verlorene Urlaubszeit. Das erstinstanzliche Amtsgericht sprach ihr zunächst nur für die ersten zwei Tage vollen Ersatz zu und lehnte alles Weitere ab. Für einen weiteren Entschädigungsanspruch fehle es nämlich an dem hierfür erforderlichen Abhilfeverlangen, das vonseiten der Familie hätte initiiert werden müssen.

Das sah das LG völlig anders. Seiner Ansicht nach habe der Veranstalter seine Pflichten nicht nur mit den beiden erfolglosen Abflugversuchen, sondern auch ab dem 29.05. verletzt. Ohne Erklärung sei die Rückgabe der Koffer wie eine Absage zu verstehen gewesen. Für Außenstehende habe das so gewirkt, als wolle der Veranstalter die Reise gar nicht mehr durchführen. Ein neues Boarding sei nicht ernsthaft angeboten worden. Die Familie musste also gar nicht noch einmal ausdrücklich um (Ab-)Hilfe bitten und erhält für die Reisetage ab dem 29.05.eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 50 % des anteiligen Reisepreises. Das Urteil ist rechtskräftig.

Hinweis: Wenn ein Reiseveranstalter nach mehreren gescheiterten Flugversuchen kommentarlos das Gepäck zurückgibt, muss man nicht mehr um Hilfe bitten. Das gilt als klare Absage der Reise. Dann gibt es Geld zurück - auch für die restlichen Urlaubstage.


Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 22.05.2025 - 2-24 S 2/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 09/2025)

Mietsicherheit: Gesetzesnorm zu Barkautionen führt bei fehlender Bankbürgschaft nicht zur fristlosen Kündigung

Ein Mieter bleibt der Vermieterin die vereinbarte Bankbürgschaft schuldig und wird daraufhin gekündigt. Was zwei Vorinstanzen auch klar so sahen, wie es sich auf den ersten Blick liest, kam beim Bundesgerichtshof (BGH) jedoch nicht so durch. Denn diesem fiel ein Detail im Vertragswerk auf, das beiden Gerichten zuvor offensichtlich durchgerutscht war.

Ein Mieter bleibt der Vermieterin die vereinbarte Bankbürgschaft schuldig und wird daraufhin gekündigt. Was zwei Vorinstanzen auch klar so sahen, wie es sich auf den ersten Blick liest, kam beim Bundesgerichtshof (BGH) jedoch nicht so durch. Denn diesem fiel ein Detail im Vertragswerk auf, das beiden Gerichten zuvor offensichtlich durchgerutscht war.

Der Mieter hatte eine Wohnung und einen Tiefgaragenstellplatz gemietet. Im Mietvertrag war festgelegt, dass er eine Bankbürgschaft als Kaution vorlegen müsse. Diese stellte der Mann jedoch nicht. Daraufhin kündigte ihm die Vermieterin das Mietverhältnis wegen der fehlenden Sicherheit - und zwar fristlos. Das Amtsgericht und das Landgericht (LG) gaben der Vermieterin recht und verurteilten den Mieter zur Räumung.

Der BGH entschied jedoch, dass eine fristlose Kündigung wegen nicht gestellter Bankbürgschaft nicht auf einer Vorschrift beruhen kann, die eigentlich den Verzug bei Barkautionen regelt. Diese Vorschrift (§ 569 Abs. 2a Bürgerliches Gesetzbuch) gilt nicht für Bankbürgschaften. Der BGH stellte klar, dass nur bei ausstehender Barkaution eine fristlose Kündigung gemäß dieser Vorschrift möglich sei. Wenn eine andere Art von Sicherheit - wie hier eine Bankbürgschaft - vereinbart wurde, kann der Vermieter das Mietverhältnis nur nach anderen Regeln kündigen. Das LG hatte dabei nicht geprüft, ob andere Kündigungen wegen Zahlungsverzugs oder Eigenbedarfs das Mietverhältnis beendet hatten. Deshalb schickte der BGH den Fall zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.

Hinweis: Der BGH stellt klar, dass nicht jede Form der Mietsicherheit gleich behandelt wird. Bei Bankbürgschaften gelten andere Kündigungsregeln als bei Barkautionen. Der Fall zeigt, wie wichtig die Prüfung der jeweiligen Rechtsgrundlagen ist.


Quelle: BGH, Urt. v. 14.05.2025 - VIII ZR 256/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 09/2025)

Wasserschäden und Schimmel: Vorschussanspruch schützt vor Kündigung wegen Mietrückstand

Bei Mängeln in der Mietwohnung ist immer die Frage, ab wann und wie ein Mieter die Mietzahlungen kürzen darf und wann der Vermieter hiergegen gerichtlich vorgehen kann, wenn dies nicht korrekt erfolgt. Das Landgericht Berlin (LG) musste in diesem Fall entscheiden, ob einem Mieter bei einem Vorschussanspruch zur Mängelbeseitigung wegen Zahlungsverzugs gekündigt werden darf oder nicht.

Bei Mängeln in der Mietwohnung ist immer die Frage, ab wann und wie ein Mieter die Mietzahlungen kürzen darf und wann der Vermieter hiergegen gerichtlich vorgehen kann, wenn dies nicht korrekt erfolgt. Das Landgericht Berlin (LG) musste in diesem Fall entscheiden, ob einem Mieter bei einem Vorschussanspruch zur Mängelbeseitigung wegen Zahlungsverzugs gekündigt werden darf oder nicht.

Eine Mieterin wohnte seit Dezember 2017 mit ihren drei Kindern in einer möblierten Wohnung. Dort gab es wiederholt Wasserschäden und Schimmel. Ein Fenster im Kinderzimmer war undicht und ließ sich nicht richtig schließen. Nachdem die Mieterin den Schimmel zunächst selbst beseitigt hatte, trat er im Winter 2018/2019 erneut auf. Ab April 2019 verlangte sie die Mängelbeseitigung und zahlte die Miete deshalb nur noch teilweise. Sie rechnete die verringerten Zahlungen mit einem Vorschussanspruch auf die Sanierungskosten auf. Die Vermieterin kündigte ihr daraufhin mehrfach wegen Zahlungsverzugs, da sie meinte, die Mieterin zahle nicht richtig.

Das Amtsgericht wies diese Kündigungen zurück und verurteilte die Vermieterin zur Mängelbeseitigung. Auch das LG bestätigte diese Entscheidung. Die Mieterin war zur Zeit der Kündigungen nicht wirklich im Rückstand, weil sie ein gesetzliches Zurückbehaltungsrecht wegen der Mängel hatte. Außerdem hatte sie Anspruch auf einen Vorschuss für die Reparaturkosten, den sie mit der Miete verrechnen durfte. Nur die Verpflichtung zur Neuverfliesung war auf die beschädigten Bereiche beschränkt. Das Gericht stellte klar, dass ein Mieter nicht kündbar ist, wenn er ein Leistungsverweigerungsrecht geltend macht, weil der Vermieter den Mangel nicht beseitigt. Dieses Recht gilt auch dann, wenn der Mieter einen Vorschuss für die Reparaturkosten verlangt und damit die Miete entsprechend mindert. Die Kündigung wegen Zahlungsverzugs entfällt rückwirkend, wenn der Mieter die Einrede erhebt, dass der Vertrag wegen des Mangels nicht erfüllt wurde. Allerdings entfällt dieses Zurückbehaltungsrecht, wenn der Mieter ein sinnvolles Sanierungskonzept ablehnt. Hier aber war die Vermieterin nicht in der Lage, die Nutzung des einzigen Bads während der Reparaturzeiten sicherzustellen, weshalb das Angebot nicht wirksam war.

Hinweis: Mieter können bei Mängeln die Miete mindern und einen Vorschuss für Reparaturkosten verlangen. Kündigungen wegen Zahlungsverzugs sind in solchen Fällen meist unwirksam. Wichtig ist hingegen, dass Mieter einem vernünftigen Sanierungskonzept zustimmen.


Quelle: LG Berlin II, Urt. v. 09.04.2025 - 64 S 101/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 09/2025)

Kündigung wegen Eigenbedarfs: Fachärztliches Attest zum Nachweis der gesundheitlichen Härte nicht unabdingbar

Wohnungskündigungen sind für viele Mieter ein schwerer Schlag, da es dabei um weitaus mehr geht als nur um das Dach über dem Kopf. Wenn in der Folge körperliche und oder seelische Folgen zu erwarten sind, kann die sogenannte Härteklausel der Kündigung entgegenstehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste klären, ob immer ein fachärztliches Attest nötig ist, um den gegen die Kündigung gewandten Widerspruch plausibel darzulegen.

Wohnungskündigungen sind für viele Mieter ein schwerer Schlag, da es dabei um weitaus mehr geht als nur um das Dach über dem Kopf. Wenn in der Folge körperliche und oder seelische Folgen zu erwarten sind, kann die sogenannte Härteklausel der Kündigung entgegenstehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste klären, ob immer ein fachärztliches Attest nötig ist, um den gegen die Kündigung gewandten Widerspruch plausibel darzulegen.

Ein Mann wohnte seit vielen Jahren in einer Wohnung in Berlin und hatte dort auch eine Untermieterin. Dann passierte das, was für Mieter in Ballungszentren ein Alptraum ist: Die Vermieterin kündigte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Der Mieter legte daraufhin gegen die Kündigung Widerspruch ein und reichte eine Stellungnahme seines Behandlers ein - kein Facharzt, sondern ein Psychoanalytiker, der psychotherapeutische Behandlungen auf Grundlage des Heilpraktikergesetzes durchführte. In der Stellungnahme hieß es, der Mieter leide an einer schweren Depression, die sich durch einen Umzug stark verschlechtern würde.

Das Amtsgericht gab jedoch der Vermieterin Recht und ordnete die Räumung an. Das Landgericht (LG) bestätigte diese Entscheidung, da der Mieter nicht ausreichend belegt habe, dass ihm ein Umzug wegen seiner Erkrankung nicht zuzumuten sei. Dazu hätte er ein fachärztliches Attest vorlegen müssen.

Die Revision führte jedoch zu einer anderen Entscheidung: Der BGH erklärte, dass nicht immer ein fachärztliches Attest nötig sei. Auch ausführliche schriftliche Erklärungen eines medizinisch qualifizierten Behandlers können ausreichen, wenn sie das Beschwerdebild gut erklären. Entscheidend sei, wie genau und überzeugend die gesundheitlichen Folgen eines Umzugs dargelegt werden. Das LG hätte die vorgelegten Stellungnahmen des Behandlers daher inhaltlich bewerten müssen und konnte sie nicht allein wegen fehlender fachärztlicher Qualifikation ignorieren.

Hinweis: Wer als Mieter wegen gesundheitlicher Gründe Widerspruch gegen eine Kündigung einlegt, muss das gut begründen. Dazu braucht es aber nicht immer ein fachärztliches Attest - auch andere medizinische Nachweise können genügen, wenn sie ausführlich und glaubhaft sind.
 
 


Quelle: BGH, Urt. v. 16.04.2025 - VIII ZR 270/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 09/2025)

Arglistige Täuschung: Verkäufer trifft auch ohne explizite Nachfrage die Hinweispflicht zu ungewöhnlichen Reparaturen

Entscheidungen frei treffen zu können, heißt, dabei weder getäuscht noch bedroht worden zu sein. Diese Entscheidungsfreiheit wird durch § 123 Bürgerliches Gesetzbuch geschützt. Wer dagegen verstößt, muss damit rechnen, dass Erklärungen ihm gegenüber nichtig sind. Das gilt auch dann, wenn der Vertragsgegenstand augenscheinlich ohne Mangel ist. Denn dass Entscheidungs- und Mangelfreiheit zweierlei Dinge sind, zeigt das Landgericht Lübeck (LG) auf.

Entscheidungen frei treffen zu können, heißt, dabei weder getäuscht noch bedroht worden zu sein. Diese Entscheidungsfreiheit wird durch § 123 Bürgerliches Gesetzbuch geschützt. Wer dagegen verstößt, muss damit rechnen, dass Erklärungen ihm gegenüber nichtig sind. Das gilt auch dann, wenn der Vertragsgegenstand augenscheinlich ohne Mangel ist. Denn dass Entscheidungs- und Mangelfreiheit zweierlei Dinge sind, zeigt das Landgericht Lübeck (LG) auf.

Der Kläger kaufte bei einem Autohaus einen Gebrauchtwagen. Später zeigten sich Fehlermeldungen - und prompt stellte die beauftragte Werkstatt fest: Das Auto war bereits mehrfach repariert worden; Turbolader, Katalysator, Kupplung, Rumpfmotor und Kühlmittelpumpe seien ausgetauscht worden. Das überraschte den Mann, denn das Autohaus hatte ihn als Käufer hierüber im Verkaufsgespräch nicht informiert. Deshalb klagte der Mann auf Rückabwicklung des Kaufvertrags, nachdem er diesen wegen arglistiger Täuschung angefochten hatte. Das Autohaus weigerte sich jedoch mit der Begründung, es bestehe schließlich keine Pflicht zur Aufklärung über vergangene Reparaturen.

Das LG hat das Auto von einem technischen Sachverständigen begutachten lassen und dem Käufer überwiegend recht gegeben. Der Verkäufer hätte vor Vertragsabschluss den Käufer auf die diversen Reparaturen hinweisen müssen, weil der Käufer vernünftigerweise eine Aufklärung hierüber habe erwarten dürfen. Das Verschweigen von Tatsachen stelle bei entsprechender Offenbarungspflicht eine Täuschungshandlung dar. Dabei sei entscheidend, ob der andere Teil nach Treu und Glauben eine Aufklärung über den verschwiegenen Umstand habe erwarten dürfen. Die hier erfolgten Reparaturen waren in der beschriebenen Anzahl und in ihrem Umfang tatsächlich derart ungewöhnlich, dass sie vom Verkäufer hätten offengelegt werden müssen - und zwar ungefragt. Dass die Informationen dem Verkäufer durchaus bekannt waren, bedingte sich bereits daraus, dass sie im Autohaus selbst durchgeführt wurden.

Hinweis: Unerheblich war für das LG im Übrigen, dass die Reparaturen zum Zeitpunkt des Kaufvertrags bereits drei bis vier Jahre zurückgelegen haben. Denn einerseits sind drei bis vier Jahre nach dem Gericht eine eher kurze Zeitspanne, zum anderen ist der Zeitablauf für den Schutz der Entscheidungsfreiheit bei Vertragsabschluss ohne Bedeutung.
 
 


Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 08.05.2025 - 3 O 150/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 09/2025)

Unverhältnismäßig: Kein Abschleppen bei Parken eines Verbrenners an nicht in Betrieb genommener E-Säule

Halter von Benzinern haben es nicht leicht. Da ist ein begehrter Parkplatz frei, der E-Fahrzeugen während des Ladevorgangs gewidmet ist. Muss denn dieser Platz auch freibleiben, wenn die Säule noch nicht in Betrieb ist? Ob Letzteres nicht vielmehr ein Problem für E-Fahrzeughalter ist, war nicht die Frage, die das Verwaltungsgericht Hamburg (VG) zu lösen hatte. Vielmehr stand im Raum, ob in derartigen Fällen das Abschleppen des benzinbetriebenen Pkw verhältnismäßig war.

Halter von Benzinern haben es nicht leicht. Da ist ein begehrter Parkplatz frei, der E-Fahrzeugen während des Ladevorgangs gewidmet ist. Muss denn dieser Platz auch freibleiben, wenn die Säule noch nicht in Betrieb ist? Ob Letzteres nicht vielmehr ein Problem für E-Fahrzeughalter ist, war nicht die Frage, die das Verwaltungsgericht Hamburg (VG) zu lösen hatte. Vielmehr stand im Raum, ob in derartigen Fällen das Abschleppen des benzinbetriebenen Pkw verhältnismäßig war.

Ein Autofahrer parkte mit seinem Verbrenner auf einem Parkplatz, der nach der Beschilderung E-Autos vorbehalten war. Allerdings hing an der Ladesäule ein Plakat, das die noch ausstehende Inbetriebnahme dieser Säule erst für die nahe Zukunft ankündigte. Ein Polizist erteilte dem Autofahrer dennoch ein Verwarngeld wegen falschen Parkens und ließ das Fahrzeug abschleppen. Der Fahrzeughalter bekam für den Abschleppvorgang daraufhin eine Rechnung von 470 EUR, wogegen er sich zur Wehr setzte. Er sei schließlich befugt gewesen, dort zu parken, da die Säule noch gar nicht in Betrieb gewesen sei.

Das VG gab dem Betroffenen nur zum Teil recht. Denn es sah zunächst den Parkverstoß als durchaus gegeben an. Die Beschilderung "E-Auto" und ein zweites weißes Zusatzzeichen "während des Ladevorgangs" führten dazu, dass der Mann seinen Benziner dort nicht habe parken dürfen. Aus der Beschilderung folge nämlich nicht nur ein Parkverbot für nicht-elektrisch betriebene Fahrzeuge. Sogar elektrisch betriebenen Fahrzeugen, die keinen Ladevorgang durchführen, sei das Parken dort untersagt. Daran war auch die Bewertung der durchgeführten Abschleppmaßnahme zu messen, und der offensichtlich nicht bestehenden Funktionsfähigkeit der Ladesäule kam hierbei ein besonderes Gewicht zu. Denn das Vorrecht zum Parken war ausweislich der Verkehrszeichen eben für Elektrofahrzeuge während des Ladevorgangs angeordnet - und eben nicht etwa für Elektrofahrzeuge im Allgemeinen. Die Funktionsunfähigkeit der Ladesäule hatte somit zur Folge, dass kein Fahrzeug dort hätte parken können, unabhängig von der Antriebsart. Der Parkplatz war zum betreffenden Zeitpunkt somit dem Verkehrsraum vollständig entzogen gewesen. Ein Abschleppen des Fahrzeugs war daher sachlich nicht erklärbar, da es keine positiven rechtlichen Folgen für eventuell vorhandene E-Fahrzeuge entwickle, denn diese dürfen mangels Ladevorgangs dort ebenfalls nicht stehen.

Hinweis: Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Abschleppvorgangs ist es im Regelfall unerheblich, ob durch das verbotswidrige Abstellen eines Fahrzeugs konkret ein bevorrechtigtes E-Fahrzeug am Parken und Laden gehindert wird. Denn bei der rechtswidrigen Inanspruchnahme von Parkraum, der Bevorrechtigten zur Verfügung stehen soll, darf ein Fahrzeug auch ohne konkrete Behinderung der bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer und ohne Einhaltung einer besonderen Wartezeit regelmäßig zwangsweise entfernt werden. Nur so kann dem mit der Einrichtung von bevorrechtigten Parkplätzen verfolgten Anliegen hinreichend effektiv Rechnung getragen werden.


Quelle: VG Hamburg, Urt. v. 18.03.2025 - 12 K 3886/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 09/2025)

Testamentsauslegung: "Unsere Kinder" kann in der Gesamtbetrachtung den Stiefsohn miteinbeziehen

Wie so oft in Erbschaftsangelegenheiten war auch in disem Fall die Frage, was mit einer Formulierung in einem gemeinschaftlichen Testament zweier Eheleute konkret gemeint sein könnte. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) betrachtete die Gesamtlage und traf hinsichtlich einer allgemeinhin im Sprachgebrauch und in Testamenten nicht ungewöhnlichen Formulierung eine folgerichtige Entscheidung.

Wie so oft in Erbschaftsangelegenheiten war auch in disem Fall die Frage, was mit einer Formulierung in einem gemeinschaftlichen Testament zweier Eheleute konkret gemeint sein könnte. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) betrachtete die Gesamtlage und traf hinsichtlich einer allgemeinhin im Sprachgebrauch und in Testamenten nicht ungewöhnlichen Formulierung eine folgerichtige Entscheidung.

Der Erblasser und seine bereits vorverstorbene Ehefrau hatten zwei gemeinsame Kinder. Darüber hinaus lebte der Sohn der Ehefrau aus einer früheren Beziehung bis ins Erwachsenenalter im gemeinsamen Haushalt der Eheleute. Diese hatten zu Lebzeiten ein gemeinschaftliches Testament aufgesetzt und sich darin gegenseitig zu Alleinerben bestimmt. Nach dem Tod des Überlebenden sollte der Nachlass zu gleichen Teilen "an unsere Kinder" gehen. Das Testament enthielt darüber hinaus eine Pflichtteilsstrafklausel sowie eine sogenannte Wiederverheiratungsklausel, die besagte, dass bei einer erneuten Heirat des Überlebenden 3/4 des damaligen Nachlasswerts "den Kindern" als Vermächtnis ausgezahlt werden sollten. Nach dem Tod der Ehefrau im Jahr 2020 errichtete der Erblasser im Jahr 2022 ein weiteres Einzeltestament, in dem er die beiden ehelichen Söhne als Erben einsetzte. Ein zunächst den ehelichen Kindern erteilter gemeinschaftlicher Erbschein wurde durch das Nachlassgericht wieder eingezogen mit der Begründung, dass auch der Stiefsohn erbberechtigt sei. Hiergegen wandten sich die gemeinsamen Söhne der Eheleute - allerdings ohne Erfolg.

Das OLG kam bei der Auslegung des Testaments zu dem Ergebnis, dass mit dem Begriff "unsere Kinder" auch Stiefkinder gemeint sein können. Die Eheleute haben nach Ansicht des Gerichts ihre Erbfolge umfassend regeln wollen, wofür nicht nur die gegenseitige Erbeinsetzung, sondern auch die Pflichtteilsstrafklauseln und die Regelung zur Wiederverheiratung sprechen. Insbesondere die letztgenannte Regelung ergebe mit einer Aufteilung des Nachlasses zu 3/4 nur Sinn, wenn alle drei Kinder mit der Regelung gemeint gewesen seien. Da das gemeinschaftlich errichtete Testament wechselbezügliche Verfügungen enthielt, konnte dieses auch nach dem Tod der Ehefrau nicht mehr einseitig abgeändert werden.

Hinweis: Bei der Gestaltung einer letztwilligen Verfügung ist auf eine präzise Formulierung zu achten. Die übliche Formulierung "unsere Kinder" kann missverständlich sein, sobald nicht nur gemeinschaftliche Kinder vorhanden sind.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.07.2025 - 1-3 Wx 116/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 09/2025)

Mietvertrag mit dem Ex: Wer sich auf längst nicht mehr gelebte Rechtslagen beruft, handelt treuwidrig

Selbst, wenn das Sprichwort gern zitiert wird - nicht immer bleibt, wer schreibt. Beispielsweise unterschreiben Paare Mietverträge, die sich im Laufe eines lange währenden Mietverhältnisses trennen. Das Landgericht Darmstadt (LG) musste sich daher mit der durchaus interessanten Frage beschäftigen, ob eine Kündigung auch gegenüber einem Mitmieter ausgesprochen werden muss, der schon seit Jahrzehnten nicht mehr in der Wohnung lebt.

Selbst, wenn das Sprichwort gern zitiert wird - nicht immer bleibt, wer schreibt. Beispielsweise unterschreiben Paare Mietverträge, die sich im Laufe eines lange währenden Mietverhältnisses trennen. Das Landgericht Darmstadt (LG) musste sich daher mit der durchaus interessanten Frage beschäftigen, ob eine Kündigung auch gegenüber einem Mitmieter ausgesprochen werden muss, der schon seit Jahrzehnten nicht mehr in der Wohnung lebt.

Ein Ehepaar hatte ein altes Haus gekauft und wollte es abreißen lassen, um neu zu bauen. Als neue Eigentümer kündigten sie daraufhin ein Mietverhältnis, das 1981 mit einem Ehepaar abgeschlossen wurde. Die Kündigung richtete sich nur gegen die Frau, da deren ehemaliger Ehemann in den 1980er Jahren ausgezogen war und dort nicht mehr wohnte. Nun sollte die Frau mit ihrem neuen Partner die Wohnung räumen. Die Mieterin meinte jedoch, dass die Kündigung nicht gültig sei, weil sie nicht auch gegenüber ihrem Ex-Mann ausgesprochen wurde. Das Amtsgericht gab den Eigentümern recht und erklärte, dass die Kündigung nur gegenüber der Frau ausreichend war, weil das Mietverhältnis mit dem Ex-Mann durch seinen Auszug vor vielen Jahren automatisch beendet war.

Das LG bestätigte diese Entscheidung im Berufungsverfahren. Es war nicht entscheidend, ob das Mietverhältnis mit dem Ex-Mann tatsächlich beendet war, sondern vielmehr, dass sich die Frau auf eine formale, längst nicht mehr gelebte Rechtslage berief und dadurch treuwidrig handelte. Ob ein solches Verhalten rechtsmissbräuchlich ist, entscheidet das Gericht stets im Einzelfall. Die Frau wollte vorgeben, mit dem Ex-Mann weiterhin gemeinsam für das Mietverhältnis verantwortlich zu sein, was das Gericht aber für unrealistisch hielt. Es erkannte keine schützenswerten Interessen des Ex-Manns an, da er seit fast 40 Jahren nicht mehr in der Wohnung lebte und keinen Kontakt mehr zur Frau hatte.

Hinweis: Das Urteil zeigt, dass es nicht immer nötig ist, einem Mitmieter zu kündigen, wenn dieser lange ausgezogen und nicht mehr erreichbar ist. Gerichte prüfen genau, ob das Festhalten an solchen formalen Rechten gerechtfertigt ist oder missbräuchlich.


Quelle: LG Darmstadt, Urt. v. 29.04.2025 - 30 S 59/25
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 09/2025)

Geschwindigkeitsverstoß: Gericht konkretisiert Voraussetzungen zur Rüge eines "lückenhaften" Messprotokolls

Sicherlich gab es in den letzten Jahren der Verkehrsrechtsprechung einige erfreuliche Entscheidungen zugunsten von Klägern, die sich bei Geschwindigkeitsdelikten mit der angewandten Messtechnik anlegten. Dass dies jedoch nicht heißt, dass man im Ernstfall die Messdaten einfach in Zweifel ziehen sollte, ohne dafür stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, zeigt dieser Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Sicherlich gab es in den letzten Jahren der Verkehrsrechtsprechung einige erfreuliche Entscheidungen zugunsten von Klägern, die sich bei Geschwindigkeitsdelikten mit der angewandten Messtechnik anlegten. Dass dies jedoch nicht heißt, dass man im Ernstfall die Messdaten einfach in Zweifel ziehen sollte, ohne dafür stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, zeigt dieser Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Gegen den Betroffenen war wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h eine Geldbuße in Höhe von 520 EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet worden. Der hiergegen gerichtete Einspruch ging dann jedoch in eine andere Richtung, als vom mehrfach vorbelasteten Betroffenen mutmaßlich erhofft: Das Amtsgericht Kassel verurteilte den Mann sogar zu einer Geldbuße von 1.000 EUR und einem Fahrverbot von zwei Monaten, da es sein Verhalten als vorsätzlichen Verstoß würdigte. Dagegen zog der Mann mit einer Rechtsbeschwerde vor das OLG und rügte zudem lückenhafte Messprotokollierungen.

Doch auch vor dem OLG hatte der Betroffene keinen Erfolg, da ein Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen für das Gericht nicht zu erkennen war. Das gelte insbesondere für die Würdigung des Verhaltens als vorsätzlicher Verstoß und daran anknüpfend die verschärfte Ahndung. Der vom Betroffenen gerügte Umgang mit "lückenhaften" Messprotokollen erschöpfte sich in einer bloßen Behauptung und begründet ebenfalls keinen Rechtsfehler. Denn Auffälligkeiten und/oder Besonderheiten in der Falldatei, die in einem Kontext zum Messprotokoll gesehen werden könnten, wurden vom Betroffenen bzw. seinem Verteidiger nicht dargestellt. Das sich in der Akte befindliche Fallbild wies ebenfalls keinerlei Auffälligkeiten auf. Es zeigte in Augen des OLG lediglich einen einsamen Fahrer, der mit entspanntem Gesicht und gemessenen 90 km/h kurz nach Mitternacht durch die Innenstadt rast.

Hinweis: Messprotokolle können als amtliche Urkunden verlesen werden und die Einvernahme von Zeugen ersetzen. Entsprechen Messprotokolle nicht den verbindlichen Vorgaben, muss der Messbeamte als Zeuge vernommen werden. Erinnert sich dieser an die meist schon Monate zurückliegende Messung nicht mehr, liegt kein sogenanntes standardisiertes Messverfahren vor. Das Gericht muss dann eine volle Beweiswürdigung unter anderem unter Bewertung der vom Messgerät erzeugten Falldatei vornehmen. Dabei stellt es die Grundanforderung an die Verteidigung, aus der Falldatei heraus dem Gericht vor der Hauptverhandlung konkrete Auffälligkeiten aufzuzeigen. Nur diesen ist das Gericht verpflichtet, nachzugehen.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 15.05.2025 - 2 Orbs 69/25
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 09/2025)