Verwertungskündigung: Unzumutbarkeit von anhaltendem Mietverhältnis während Umbaus muss nachgewiesen werden

Wenn ein Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleidet, liegt laut § 573 Abs. 2 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch ein berechtigtes Vermieterinteresse an der Beendigung des Mietverhältnisses vor. Mit diesen Eckpunkten musste das Landgericht Lübeck (LG) über eine solche Verwertungskündigung entscheiden.

Wenn ein Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleidet, liegt laut § 573 Abs. 2 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch ein berechtigtes Vermieterinteresse an der Beendigung des Mietverhältnisses vor. Mit diesen Eckpunkten musste das Landgericht Lübeck (LG) über eine solche Verwertungskündigung entscheiden.

Eine Vermieterin hatte unter anderem einer Mieterin wegen der geplanten Modernisierung und Sanierung einer Wohnanlage für einen Zeitraum von ca. 18 Monaten gekündigt, da im bewohnten Zustand Sanierung und Modernisierung der Bausubstanz nicht möglich seien. Insbesondere würde eine komplette Erneuerung der Küchen und Bäder erfolgen, wobei Veränderungen der Wohnungsgrundrisse vorgenommen würden, da die Bäder vergrößert werden sollten. Zudem solle eine Veränderung der Wohnungsgrundrisse zur nahezu barrierefreien Nutzung erfolgen. Dass eine Sanierung im bewohnten Zustand nicht möglich war, war zwischen den Parteien sogar unstreitig, und die Vermieterin bot der Mieterin Alternativwohnungen und auch Hilfen beim Umzug an. Die Mieterin widersprach der Kündigung trotzdem und wandte eine nicht hinzunehmende Härte ein. Nachdem das Amtsgericht (AG) der Räumungsklage stattgegeben hatte, beantragte die Mieterin während des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe, die sie auch erhielt, da die Berufung hinreichende Aussichten auf Erfolg hatte.

Das LG entschied schließlich auch, dass bei der Frage, ob ein Vermieter bei Fortsetzung des Mietverhältnisses an der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert sei, nicht allein darauf abzustellen sein dürfe, ob eine bewohnte Wohnung der Durchführung der angestrebten Verwertung entgegenstehe. Vielmehr ist auch zu bewerten, ob das Mietverhältnis die Durchführung der Arbeiten hindere. Das kann der Fall sein, wenn sich der Mieter nicht bereiterklärt, seine Wohnung vorübergehend zu räumen. Und selbst eine vorübergehende Räumung müsse dem Vermieter insbesondere in finanzieller Hinsicht zumutbar sein. Dabei kommt es auf die Dauer der Unterbringung und auf die Relation der Unterbringungskosten zu den reinen Modernisierungskosten an. Und eben diese Punkte muss nun das AG als Vorinstanz nochmals genau prüfen. Kommt es also zu dem Ergebnis, dass die Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses während der Umbaumaßnahmen für den Vermieter unzumutbar sei, wird es der Räumungsklage stattgeben müssen.

Hinweis: Möchte ein Vermieter eine solche Verwertungskündigung aussprechen, sollte er im Vorfeld dringend weiteren Rat einholen. Gleiches gilt natürlich auch für einen Mieter, der eine solche Kündigung erhält. In diesem Bereich ist wirklich jeder Fall anders und muss einzeln betrachtet werden.


Quelle: LG Lübeck, Beschl. v. 26.06.2024 - 14 S 38/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2024)

Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt: Wer zu spät kommt, den bestraft der Anwaltsgerichtshof

Wer eine Frist oder einen Termin bei Gericht verpasst, kann unter Umständen einen sogenannten Wiedereinsetzungsantrag stellen. Allerdings müssen dafür gewisse Voraussetzungen vorliegen, wie der Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen (AGH) kürzlich festgestellt hat. Klar wird hier, dass auch Menschen, die es erfolgreich durch zwei haarige Juraexamen geschafft haben, manchmal an lebenspraktischen Planungen scheitern können.

Wer eine Frist oder einen Termin bei Gericht verpasst, kann unter Umständen einen sogenannten Wiedereinsetzungsantrag stellen. Allerdings müssen dafür gewisse Voraussetzungen vorliegen, wie der Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen (AGH) kürzlich festgestellt hat. Klar wird hier, dass auch Menschen, die es erfolgreich durch zwei haarige Juraexamen geschafft haben, manchmal an lebenspraktischen Planungen scheitern können.

Eine Rechtsanwältin musste um 13 Uhr zu einem Termin erscheinen. Warum sie diesen Termin verpasste? Weil sie erst 75 Minuten zuvor mit ihrem Pkw aufgebrochen war, was für ein pünktliches Eintreffen bei der gegebenen Entfernung schon rein rechnerisch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h voraussetzte. Innerstädtisch ist diese Geschwindigkeit nicht gestattet. Verzögerungen müssten also außerorts kompensiert werden, was an einem Freitagmittag quer durch das zusätzlich von Baustellen durchzogene Ruhrgebiet von vornherein ausgeschlossen ist. Eine derartige Planung der Anfahrtszeit ist zudem dann unzureichend, wenn die Rechtsanwältin nicht über ein funktionsfähiges Mobiltelefon verfügt, mit dem sie dem Gericht eine etwaige unvorhersehbare Verzögerung mitteilen könnte. Zu den zumutbaren Maßnahmen zählt dann, eine Tankstelle oder einen Rastplatz anzufahren, um das Gericht telefonisch von dort aus über eine drohende verspätete Ankunft zu unterrichten. Und zu guter Letzt hätten für das Parken des eigenen Pkw und den Fußweg in den Saal bei sorgfältiger Planung weitere Zeiträume berücksichtigt werden müssen. Dazu gehört im Übrigen auch das Mitführen des Rechtsanwaltsausweises. Denn ohne den Ausweis muss mit längeren Wartezeiten beim Zugang zum Gerichtsgebäude gerechnet werden.

Nach dieser Aneinanderreihung nicht umgesetzter Vorkehrungen ist leicht zu erahnen, was folgte: Hier lehnte der AGH den Wiedereinsetzungsantrag der Rechtsanwältin ab.

Hinweis: Versäumt ein Rechtsanwalt eine Frist oder einen Termin, sollte das offen kommuniziert werden. Natürlich sollten Fehler nicht passieren, und tatsächlich geschieht dies lediglich in sehr seltenen Fällen. Wichtig ist es dann, den Schaden zu begrenzen und über den Fehler miteinander zu sprechen.


Quelle: AGH NRW, Urt. v. 05.09.2024 - 2 AGH 1/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 12/2024)

Unangeschnallt = Mitschuld? Verursachungs- und Verschuldensbeitrag tritt bei schwerwiegendem Verstoß gegen StVO zurück

Auch wenn immer wieder mal gegen die geltende Gurtpflicht verstoßen wird, ist sich der überwiegende Teil der Verkehrsteilnehmer über deren Sinn und Zweck einig. Wenn es dennoch zu einem Unfall mit Personenschäden kommt, muss eine unangeschnallte Person stets damit rechnen, für erlittene Schäden mit zur Verantwortung gezogen zu werden. Im Fall des Oberlandesgerichts Köln (OLG) war das anders - denn hier war klar, wem die überwiegende Hauptschuld anzulasten war.

Auch wenn immer wieder mal gegen die geltende Gurtpflicht verstoßen wird, ist sich der überwiegende Teil der Verkehrsteilnehmer über deren Sinn und Zweck einig. Wenn es dennoch zu einem Unfall mit Personenschäden kommt, muss eine unangeschnallte Person stets damit rechnen, für erlittene Schäden mit zur Verantwortung gezogen zu werden. Im Fall des Oberlandesgerichts Köln (OLG) war das anders - denn hier war klar, wem die überwiegende Hauptschuld anzulasten war.

Ein betrunkener Autofahrer verursachte einen schweren Verkehrsunfall, als er mit Tempo 155 km/h (erlaubt waren 70 km/h) über eine Landstraße raste, auf die Gegenfahrbahn geriet und dort mit einem entgegenkommenden Auto zusammenstieß. Darin wurde die Beifahrerin an der Wirbelsäule schwer verletzt, da hinter ihr eine unangeschnallte Frau saß. Der verursachende Autofahrer selbst überlebte den Unfall hingegen nicht, seine Haftpflichtversicherung zahlte rund 380.000 EUR Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Versicherung versuchte dann aber, Geld zurückzubekommen, und verklagte die Frau auf dem Rücksitz auf Zahlung von rund 270.000 EUR, weil diese gegen die Gurtpflicht verstoßen habe und beim Unfall nach vorne gegen den Sitz der Beifahrerin geschleudert worden ist, wobei ihre Knie dabei die schweren Verletzungen der Vorderfrau (mit-)verursacht hätten. Nachdem die Klage in der ersten Instanz keinen Erfolg hatte, ging die Versicherung in Berufung.

Das OLG wies die Klage ebenfalls ab. Die Gurtpflicht schütze zwar nicht nur den Anschnallpflichtigen selbst, sondern soll zudem auch andere Fahrzeuginsassen vor Verletzungen durch nicht angeschnallte Mitfahrende bewahren. Wer sich nicht anschnalle, könne daher auch für die Verletzung anderer Fahrzeuginsassen haftbar gemacht werden. Die Frau auf dem Rücksitz müsse hier aber dennoch nicht (mit-)haften. Denn das Verhalten des fahruntüchtigen Fahrers sei maßgeblich für den Unfall und damit auch für den dadurch entstandenen Schaden gewesen. Das Gericht führte aus, dass vor dem Hintergrund seines "strafwürdigen, grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens" eine mögliche Mithaftung der nicht angeschnallten Frau vollständig zurücktrete. Das OLG ließ offen, ob diese tatsächlich die schweren Verletzungen der Beifahrerin verursacht hatte.

Hinweis: Der Senat stellte zutreffend fest, dass die nicht angeschnallte Mitfahrerin grundsätzlich neben dem betrunkenen Autofahrer haftet. Ein Ausgleichsanspruch - also eine Haftung der nicht angeschnallten Mitfahrerin - scheitert aber daran, dass im Rahmen der Haftungsverteilung der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der nicht angeschnallten Mitfahrerin vollständig hinter denjenigen des betrunkenen Autofahrers zurücktritt, der in schwerwiegender Weise gegen die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) (alkoholisiert/überhöhte Geschwindigkeit) verstoßen hatte.

Quelle. OLG Köln, Urt. v. 27.08.2024 - 3 U 81/23

zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2024)

Zwischenzeitliche Gesetzesänderung: Neue THC-Grenzwerte bei Autofahrten unter Cannabiseinfluss

Wer heute eine Tat begeht, die unter Strafe steht, aber erst morgen dafür belangt wird, darf hoffen, straffrei auszugehen. Denn manchmal kommt es vor, dass Gesetze novelliert werden. Und wenn diese Überarbeitungen in Kraft treten, während die Rechtsbeschwerde läuft, hat jemand Glück - so wie kürzlich ein THC-Freund vor dem Oberlandesgericht Oldenburg (OLG).

Wer heute eine Tat begeht, die unter Strafe steht, aber erst morgen dafür belangt wird, darf hoffen, straffrei auszugehen. Denn manchmal kommt es vor, dass Gesetze novelliert werden. Und wenn diese Überarbeitungen in Kraft treten, während die Rechtsbeschwerde läuft, hat jemand Glück - so wie kürzlich ein THC-Freund vor dem Oberlandesgericht Oldenburg (OLG).

Der Betroffene hatte gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Zunächst ohne Erfolg, denn er wurde vom Amtsgericht Papenburg (AG) wegen einer Autofahrt unter Cannabiseinfluss zu einer Geldbuße von 1.000 EUR und einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt. Das AG hatte festgestellt, dass der Betroffene mit einem THC-Wert von 1,3 ng/ml im Blut ein Fahrzeug geführt hatte. Gegen dieses Urteil legte der Betroffene Rechtsbeschwerde ein.

Das OLG hat der Rechtsbeschwerde stattgegeben. Dabei kam dem Betroffenen eine zwischenzeitliche Gesetzesänderung zugute. Denn als das AG am 09.02.2024 sein Urteil verkündete, galt für Autofahrten unter Cannabiseinfluss noch ein Grenzwert von 1,0 ng/ml. Daher stellte der Senat fest, dass das AG seinerzeit zu Recht von einer Überschreitung des Grenzwerts ausgehen musste. Am 22.08.2024 - und damit nach dem Urteil des AG, aber vor der Entscheidung des OLG - trat im Zuge der Cannabislegalisierung jedoch eine Gesetzesänderung in Kraft, die den Grenzwert für Fahrten unter Cannabiseinfluss auf 3,5 ng/ml heraufsetzte (§ 24a Abs. 1a Straßenverkehrsgesetz (StVG)). Diese Gesetzesänderung war aufgrund § 4 Abs. 3 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) zugunsten des Betroffenen zu berücksichtigen. Da der THC-Gehalt des Betroffenen unterhalb des neuen Grenzwerts lag, hob der Senat das Urteil des AG auf  - und sprach den Betroffenen frei.

Hinweis: Für die Anwendung des § 24a Abs. 1a StVG auf sogenannte Altfälle ist zumindest der Rechtsgedanke des § 4 Abs. 3 OWiG heranzuziehen, wonach in dem Fall, in dem ein Gesetz, das bei der Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert wird, stets das mildeste Gesetz anzuwenden ist. Wenn nunmehr der maßgebliche Wert in § 24a StVG über dem Wert liegt, den der Betroffene bei der einer Verurteilung zugrundeliegenden Fahrt im Blut hatte, hätte er bei einer Tatbegehung nach Inkrafttreten des Gesetzes den Bußgeldtatbestand nicht verwirklicht. Er war daher freizusprechen.


Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.08.2024 - 2 ORbs 95/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2024)

1 PS gegen Motorrad: Halterin haftet voll für Verletzungen einer Motorradfahrerin durch ausschlagendes Pferd

Auch angesichts der Tatsache, dass ein Pferd nicht fährt, darf es Fahrbahnen dennoch benutzen. Im Fall des Landgerichts Lüneburg (LG) wurde das laufende Pferd sogar von seiner ebenso laufenden Halterin den Fahrbahnrand entlanggeführt - auch das ist völlig zulässig. Doch sobald Pferd und Mensch dabei ein eher unsicheres Gespann bilden, das eine Gefahr für andere - fahrende - Verkehrsteilnehmer darstellt, ist Schluss mit lustig.

Auch angesichts der Tatsache, dass ein Pferd nicht fährt, darf es Fahrbahnen dennoch benutzen. Im Fall des Landgerichts Lüneburg (LG) wurde das laufende Pferd sogar von seiner ebenso laufenden Halterin den Fahrbahnrand entlanggeführt - auch das ist völlig zulässig. Doch sobald Pferd und Mensch dabei ein eher unsicheres Gespann bilden, das eine Gefahr für andere - fahrende - Verkehrsteilnehmer darstellt, ist Schluss mit lustig.

Eine Motorradfahrerin befuhr mit ihrem Sozius eine Landstraße. Am linken Fahrbahnrand befand sich eine Fußgängerin, die an der linken Hand einen Hund führte und mit der rechten ein Pferd. Die Motorradfahrerin entschloss sich, an der Gruppe vorbeizufahren und fuhr am rechten Fahrbahnrand entlang. Das Pferd spürte offensichtlich dennoch das von hinten herannahende Motorrad, drehte sein Hinterteil in die Straße und schlug aus. Nachdem die Motorradfahrerin am Arm getroffen wurde, stürzte sie. Die Tierhalterhaftpflichtversicherung regulierte 70 % des Schadens - doch die Motorradfahrerin forderte vollen Schadensersatz.

Das LG gab der Verunfallten recht. Auch eine Motorradfahrerin dürfe darauf vertrauen, dass die Pferdehalterin, die ihr Pferd am Straßenrand entlangführt, das Tier derart kontrollieren kann, dass ein herannahendes Fahrzeug nicht in Gefahr gerät. Und da hier kein Mitverschulden der Motorradfahrerin nachzuweisen war, haftete die Tierhalterin alleinig.

Hinweis: Die Beklagte war zwar gemäß § 28 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) grundsätzlich berechtigt, ihr Pferd auf der betreffenden Straße zu führen - dies aber nur, wenn sie auf dieses ausreichend einwirken könne, um Gefahr für den Verkehr zu vermeiden und die allgemeinen Verkehrsregeln einzuhalten. Gerade dies war hier aber nicht der Fall, so dass die Beklagte in der konkreten Unfallsituation schuldhaft gegen das § 28 StVO zu entnehmende Verbot verstieß, potentiell für den allgemeinen Verkehr gefährliche Pferde, bei denen die Gefahr auch nicht durch Einwirkung auf diese hinreichend kontrolliert werden konnte, auf der Straße zu führen.


Quelle: LG Lüneburg, Urt. v. 30.05.2024 - 5 O 362/23
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2024)

Nur befriedigendes Zeugnis: Arbeitnehmer trifft Darlegungs- und Beweislast für überdurchschnittliche Beurteilung

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) hatte sich im folgenden Fall ausführlich damit befasst, was ein Arbeitnehmer vortragen muss, um ein Arbeitszeugnis zu erhalten, das über eine befriedigende Beurteilung hinausgeht. Denn nur auf eine solche haben Arbeitnehmer einen generellen Anspruch.

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) hatte sich im folgenden Fall ausführlich damit befasst, was ein Arbeitnehmer vortragen muss, um ein Arbeitszeugnis zu erhalten, das über eine befriedigende Beurteilung hinausgeht. Denn nur auf eine solche haben Arbeitnehmer einen generellen Anspruch.

Ein Arbeitnehmer war nach seiner Ausbildung vom 06.01.2020 bis zum 13.08.2022 bei seinem Arbeitgeber als Schulbegleiter bzw. Integrationsassistent beschäftigt. Er hatte die Aufgabe, einen Schüler dabei zu unterstützen, dass dieser Konflikte mit Mitschülern ohne Gewalt löst, Grenzen seiner Mitmenschen wahrt, aktiv am Unterricht teilnimmt, Hausaufgaben in sein Hausaufgabenheft schreibt und den Unterricht nicht stört. Von Oktober 2021 bis Januar 2022 war der Arbeitnehmer arbeitsunfähig, nachdem ihm der betreute Junge mehrere Finger gebrochen hatte. Nachdem das Arbeitsverhältnis endete, erteilte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Zeugnis mit einer befriedigenden Leistungs- und Verhaltensbewertung: "(...) erfüllte seine Aufgaben in der Integrationshilfe immer selbständig, sorgfältig und stets zu unserer Zufriedenheit". Da er der Ansicht war, dass ihm ein besseres Arbeitszeugnis zustehe, klagte der Arbeitnehmer und begründete dies im Wesentlichen mit der Behauptung, die Integration des betreuten Kindes sei erfolgreich gewesen. Dies hätten ihm auch dessen Eltern bestätigt.

Die Richter des LAG sahen das hingegen anders. Die durchschnittliche Beurteilung sei aufgrund der begrenzten Berufserfahrung des Arbeitnehmers nachvollziehbar. Vielfach führe erst eine langjährige Berufserfahrung zu guten und sehr guten Leistungen. Der Arbeitnehmer habe nicht dargelegt, dass er im Hinblick auf Leistung und Verhalten besser als ein durchschnittlicher Schulbegleiter/Integrationsassistent zu bewerten war. Letzteres wäre jedoch seine Aufgabe gewesen. Er habe zwar durchaus Erfolge bei seinen Hilfezielen erreicht - was ihm der Arbeitgeber auch bescheinigt habe -, jedoch habe er dabei keinen Vergleich zu anderen durchschnittlichen Schulbegleitern gezogen und dargelegt, dass vergleichbare Beschäftigte diese Erfolge nicht oder nicht in dieser Zeit erzielt hätten.

Hinweis: Arbeitnehmer haben nach der Rechtsprechung lediglich Anspruch auf ein befriedigendes Zeugnis. Wollen sie ein besseres Zeugnis erhalten, ist das in der Praxis ausgesprochen schwierig umzusetzen. Etwas einfacher wird es, wenn ein entsprechend gutes Zwischenzeugnis vorliegt. Dann muss der Arbeitgeber darlegen, weshalb er jetzt davon abweicht.


Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 02.07.2024 - 5 Sa 108/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 12/2024)

Testierfreiheit vor Eheschließungsfreiheit: Erblasser droht Sohn bei Heirat der Lebensgefährtin mit Enterbung

Das Oberlandesgericht München (OLG) musste sich mit der Wirksamkeit einer Klausel in einem privatschriftlichen Testament beschäftigen. Der Erblasser hatte zwei Söhne, die er jeweils hälftig zu seinen Erben einsetzte. Auf der letzten Seite des Testaments verfügte der Erblasser, dass er seinen namentlich benannten Sohn enterbt, sollte dieser seine derzeitige Lebensgefährtin heiraten. So etwas kann doch nicht zulässig sein - oder etwa doch?

Das Oberlandesgericht München (OLG) musste sich mit der Wirksamkeit einer Klausel in einem privatschriftlichen Testament beschäftigen. Der Erblasser hatte zwei Söhne, die er jeweils hälftig zu seinen Erben einsetzte. Auf der letzten Seite des Testaments verfügte der Erblasser, dass er seinen namentlich benannten Sohn enterbt, sollte dieser seine derzeitige Lebensgefährtin heiraten. So etwas kann doch nicht zulässig sein - oder etwa doch?

Der Sohn heiratete seine Lebensgefährtin trotz der Klausel. Und es kam, was zu erwarten war: Nach dem Tod des Erblassers beantragte der Bruder einen Alleinerbschein. Diesen wies das Nachlassgericht jedoch zurück, da es der Ansicht war, dass die Klausel in dem Testament sittenwidrig sei.

Das OLG teilte diese Ansicht im Ergebnis nicht und argumentierte damit, dass die Testierfreiheit des Erblassers Vorrang habe vor der Eheschließungsfreiheit des Sohns. Der Erblasser durfte frei darüber bestimmen, wen er als Erben einsetzen wollte. Selbst wenn man unterstellen wollte, dass die Klausel sittenwidrig wäre, führt dies nach Ansicht des OLG nicht automatisch dazu, dass der nunmehr verheiratete Sohn hälftig Miterbe werde. Das Gericht stellte klar, dass der Erblasser den Sohn nur unter der Bedingung der Nichtheirat als Erben einsetzen wollte. Da diese Bedingung nicht erfüllt wurde, war dessen Bruder zum Alleinerben berufen.

Hinweis: Die Sittenwidrigkeit einer Klausel führt nicht zwangsläufig zu einer Unwirksamkeit der gesamten testamentarischen Verfügung. Im Ergebnis kommt es immer darauf an, ob der Wille des Erblassers durch die übrigen Verfügungen aufrechterhalten werden kann.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 23.09.2024 - 33 Wx 325/23 e
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 12/2024)

Freizeitausgleich unmöglich: Finanzielle Entschädigung für Bereitschaftsdienste bei der Feuerwehr

Nur weil man nicht arbeitet, heißt das noch lange nicht, dass man diese Zeit frei gestalten kann. Eben deshalb sind besonders auch Bereitschaftsdienste immer wieder Thema vor den Arbeitsgerichten. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) hat nun eine wegweisende Entscheidung für Feuerwehrleute im Bereitschaftsdienst gefällt.

Nur weil man nicht arbeitet, heißt das noch lange nicht, dass man diese Zeit frei gestalten kann. Eben deshalb sind besonders auch Bereitschaftsdienste immer wieder Thema vor den Arbeitsgerichten. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) hat nun eine wegweisende Entscheidung für Feuerwehrleute im Bereitschaftsdienst gefällt.

Die Alarmbereitschaftszeiten der Feuerwehrleute der Stadt Mülheim an der Ruhr werden als 24-Stunden-Dienste geleistet. Den Feuerwehrleuten wird dabei zwar kein bestimmter Aufenthaltsort vorgegeben - sie dürfen sich aber nur in einem Radius von 12 km um die Wache bewegen und müssen im Alarmierungsfall "sofort" mit dem zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeug ausrücken. Dabei ist unter "sofort" die in der Alarm- und Ausrückordnung als Ausrückzeit angegebene Zeitspanne von maximal 90 Sekunden zu verstehen. Einige Feuerwehrleute meinten nun, diese Alarmbereitschaftszeiten seien in vollem Umfang als Arbeitszeit zu werten - sie klagten.

Das OVG entschied tatsächlich, dass die von ihnen im sogenannten Direktions- bzw. Hintergrunddienst geleisteten Alarmbereitschaftszeiten in vollem Umfang als Arbeitszeit im Sinne der europarechtlichen Vorgaben einzustufen sind. Die Einstufung als Arbeitszeit begründet sich im Wesentlichen aus den gravierenden Einschränkungen für die Zeitgestaltung der Feuerwehrleute während der Dienste, die aus dieser kurzen Reaktionszeit resultieren. Durch die Einstufung der Alarmbereitschaftszeiten als Arbeitszeit überstieg die Arbeitszeit der Feuerwehrleute regelmäßig die zulässige wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. Im Umfang dieser Überschreitung steht ihnen daher ein Entschädigungsanspruch zu. Der zunächst auf die Gewährung von Freizeitausgleich gerichtete Anspruch hat sich somit in einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung umgewandelt, da die Gewährung von Freizeitausgleich nach Angaben der Arbeitgeberin unmöglich ist. Die Entschädigung berechnet sich nach den Stundensätzen der Mehrarbeitsvergütungsverordnung.

Hinweis: Das Urteil wird sicherlich Signalwirkung auch für andere Bundesländer haben. Umzusetzen wird es auf Dauer nur sein, wenn Personal aufgestockt wird. Allerdings kann gegen das Urteil noch die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht werden.


Quelle: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.09.2024 - 6 A 856/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 12/2024)

Angreifbarer Sorgerechtsbeschluss: Keine Sorgerechtsentscheidung ohne negative Kindeswohlprüfung

Sorgerechtsstreitigkeiten gehen oft durch alle Instanzen. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Rostock (OLG) kann eine höhere Instanz einen Sorgerechtsstreit sogar dann zurückverweisen, wenn dies gar nicht beantragt war. Klingt komisch? Dann lesen Sie selbst.

Sorgerechtsstreitigkeiten gehen oft durch alle Instanzen. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Rostock (OLG) kann eine höhere Instanz einen Sorgerechtsstreit sogar dann zurückverweisen, wenn dies gar nicht beantragt war. Klingt komisch? Dann lesen Sie selbst.

Die unverheirateten Kindeseltern hatten sich im Juni 2022 getrennt. Der Vater wollte gern die gemeinsame Sorge. Die Mutter sträubte sich zunächst, da Gewaltvorwürfe gegen den Vater im Raum standen. Später stimmte sie jedoch zu. Auch das Jugendamt und Psychologen befürworteten die gemeinsame Sorge. Also wurde diese dann auch amtsgerichtlich festgestellt, wobei das Amtsgericht (AG) hier nur die Zustimmung der Mutter und die Empfehlungen der Psychologen und Ämter berücksichtigte - eine Kindeswohlprüfung wurde hingegen nicht durchgeführt. Die Mutter legte daraufhin Beschwerde gegen die Entscheidung ein, da sie nicht richtig über die Auswirkungen ihrer Zustimmung aufgeklärt worden sei.

Das OLG hat daraufhin den Sorgerechtsbeschluss des AG und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben. Der Rechtsstreit wurde insgesamt an das AG zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dies sei nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sogar ohne dahingehenden Antrag eines Verfahrensbeteiligten möglich. Voraussetzung dafür ist aber, dass das Gericht in der Sache selbst noch nicht entschieden hat. Hier wurde zwar ein Sorgerechtsbeschluss gefasst - das Gericht hatte aber im vereinfachten Verfahren entschieden. Eine grundsätzlich gebotene negative Kindeswohlprüfung wurde nicht durchgeführt, und genau diese muss es jetzt nachholen.

Hinweis: Ein Gericht darf sich in seiner Prüfung also nicht allein auf die Prüfung beschränken, ob eine Maßnahme dem Kindeswohl entspricht - vielmehr muss es gerade auch prüfen, ob die Entscheidung dem Kindeswohl widerspricht. Tut es das nicht, dann ist seine Entscheidung unter Umständen angreifbar.


Quelle: OLG Rostock, Beschl. v. 27.09.2024 - 10 UF 50/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 12/2024)

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Forderung "erster Führungserfahrungen" nicht diskriminierend

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) musste sich wieder einmal mit einer Altersdiskriminierung in einer Stellenanzeige auseinandersetzen. Hierbei war zu klären, ob ein bestimmtes Anforderungsprofil automatisch Rückschlüsse auf einen unabdingbar erforderlichen Alterskorridor der Bewerber schließen lässt und somit einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darstellt.

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) musste sich wieder einmal mit einer Altersdiskriminierung in einer Stellenanzeige auseinandersetzen. Hierbei war zu klären, ob ein bestimmtes Anforderungsprofil automatisch Rückschlüsse auf einen unabdingbar erforderlichen Alterskorridor der Bewerber schließen lässt und somit einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darstellt.

Eine Arbeitgeberin suchte in einer Stellenausschreibung "eine/n Managementtrainer/-in mit Vertriebsverantwortung (m/w/d)", wobei "erste Erfahrungen in Führungspositionen" erwünscht waren. Ein 56-jähriger Bewerber erhielt eine Absage und meinte nun, er sei wegen seines Alters diskriminiert worden. Durch die Voraussetzung, dass er "erste Erfahrungen in Führungspositionen" haben solle, fühlte er sich wegen seines Alters diskriminiert. Durch diese Vorgabe habe die Arbeitgeberin einen gewünschten Alterskorridor vorgegeben, wonach die Bewerber ca. 38-42 Jahre alt sein sollten, während alle übrigen Bewerber, die also entweder jünger als im Zielkorridor oder eben älter seien, direkt aus dem Bewerbungsverfahren aussortiert werden würden. Deshalb klagte er 10.000 EUR Schadensersatz ein - vergeblich.

Das LAG vertrat die Ansicht, dass die Anforderung  "erste Führungserfahrung" in einer Stellenausschreibung nicht auf einen bestimmten Lebenszeitkorridor verweise. Somit liegt kein Indiz für eine Benachteiligung wegen des Alters vor. Erste Führungserfahrungen können schließlich in jedem Alter gemacht werden.

Hinweis: Arbeitgeber sollten bei der Veröffentlichung von Stellenanzeigen besonders vorsichtig sein und jede Stellenanzeige nochmals genau prüfen, ob sie eventuell diskriminierend sein könnte. Denn Verstöße gegen das AGG können schnell sehr teuer werden.


Quelle: LAG Köln, Urt. v. 20.06.2024 - 6 Sa 632/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 12/2024)