Teilungsanordnung: Umdeutung einer letztwilligen Verfügung in wirksames Rechtsgeschäft

Wird eine Erbschaft unter falscher Annahme über die Werthaltigkeit angenommen, kann dies in Ausnahmefällen zu einer Anfechtung der Erbschaftsannahme führen. Im Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG) spielten sogar gleich zwei Insolvenzverfahren eine entscheidende Rolle.

Wird eine Erbschaft unter falscher Annahme über die Werthaltigkeit angenommen, kann dies in Ausnahmefällen zu einer Anfechtung der Erbschaftsannahme führen. Im Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG) spielten sogar gleich zwei Insolvenzverfahren eine entscheidende Rolle.

Noch zu Lebzeiten führte die Erblasserin einen Rechtsstreit gegen ein Universitätsklinikum aufgrund eines vermeintlichen ärztlichen Behandlungsfehlers. Über das Vermögen der Erblasserin wurde im Jahr 2015 ein Insolvenzverfahren eröffnet. Dann verstarb die Erblasserin im Jahr 2018 und hinterließ einen Sohn als alleinigen gesetzlichen Erben. Das Insolvenzverfahren wurde als Nachlassinsolvenzverfahren fortgeführt. Nach dem Tod der Mutter beantragte der Sohn, über dessen eigenes Vermögen inzwischen auch ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war, als Alleinerbe die Erteilung eines Erbscheins - in der Annahme, dass der Nachlass überschuldet sei.

Bezüglich des medizinrechtlichen Haftungsfalls wurde nach dem Tod der Frau jedoch ein gerichtlicher Vergleich abgeschlossen, mit dem sich das Universitätsklinikum zur Schadensersatzzahlung von 1,5 Mio. EUR verpflichtete. Während der erbende Sohn bei der Vermögensaufstellung des Insolvenzverwalters bei Annahme der Erbschaft also noch davon ausging, dass die Verbindlichkeiten der Mutter in etwa 2 Mio. EUR betrugen, stellte sich im Laufe des Insolvenzverfahrens nun heraus, dass diese nur noch rund 1 Mio. EUR betrugen. Nachdem der Erbe Kenntnis hiervon erhalten hat, erklärte er die Anfechtung der Annahme der Erbschaft. Hätte er gewusst, dass der Nachlass werthaltig war, hätte er die Erbschaft ausgeschlagen. Warum das? Ganz einfach: Somit wäre seinen eigenen Kindern ein positives Vermögen zugutegekommen.

Diese Argumentation ließ im Ergebnis auch das OLG gelten. Der Bestand der im Insolvenzverfahren eines Erblassers angemeldeten Forderungen stellt eine Eigenschaft des Nachlasses dar. Erfolgt die Annahme der Erbschaft in der falschen Vorstellung, der Nachlass sei überschuldet, könne dies eine Anfechtung wegen eines Irrtums rechtfertigen. Auch für den Erben gelte, dass im Wesentlichen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich ist. Es sei nicht anzunehmen, dass der Schuldner im Fall der Werthaltigkeit eines Nachlasses in erster Linie anstrebt, seine eigenen Verbindlichkeiten zu bedienen.

Hinweis: Stellen Erben nach der Annahme einer Erbschaft fest, dass ein Nachlass überschuldet ist, besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf Einleitung einer Nachlassinsolvenz zu stellen. Wird das Verfahren eröffnet, verlieren die Erben aber den Zugriff auf den Nachlass.


Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.08.2023 - 14 W 144/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 10/2023)

Angemessenes Risiko: Verunfallt ein Polizeifahrzeug bei Verfolgung, kann Flüchtender zur Haftung gezogen werden

Wer alltägliche Notwendigkeiten zusammen mit einem kleinen Kind zu bewältigen hat, weiß, dass kleine spielerische Routinen das Ganze etwas auflockern und somit erleichtern. Das Amtsgericht Neunkirchen (AG) musste über einen Fall entscheiden, bei dem ein Vater seiner Tochter erlaubte, nach Beladen des Familienautos den leeren Einkaufswagen zurückschieben zu dürfen. Sie ahnen womöglich, was folgte.

Wer alltägliche Notwendigkeiten zusammen mit einem kleinen Kind zu bewältigen hat, weiß, dass kleine spielerische Routinen das Ganze etwas auflockern und somit erleichtern. Das Amtsgericht Neunkirchen (AG) musste über einen Fall entscheiden, bei dem ein Vater seiner Tochter erlaubte, nach Beladen des Familienautos den leeren Einkaufswagen zurückschieben zu dürfen. Sie ahnen womöglich, was folgte.

Nachdem der Einkaufswagen geleert war, erlaubte der Vater seiner fünfjährigen Tochter, den Wagen zur Sammelstelle zurückzuschieben. Er selbst ging nicht mit. Es kam, wie es kommen musste: Das kleine Mädchen verlor die Kontrolle über den Wagen, der daraufhin mit einem geparkten Pkw kollidierte. Logischerweise forderte der Geschädigte nun Schadensersatz. Der Vater aber verweigerte die Zahlung, denn schließlich sei seine Tochter mit ihren erst fünf Jahren nicht verantwortlich zu machen. Und seiner Meinung nach läge auch keine Aufsichtspflichtverletzung vor, da er schon mehrfach mit der Tochter den Einkaufswagen weggebracht habe und ihr beigebracht hatte, wie man diesen sicher schiebt.

Die Endung des letzten Satzes mag nahelegen, wie das AG entschied - und zwar dahingehend, dass der Vater seine Aufsichtspflicht verletzt hatte. Zwar konnte festgestellt werden, dass das Mädchen ein aufmerksames, wissbegieriges Kind sei, das Anweisungen auch verstehe. Das Gericht argumentierte aber, dass es sich bei dem Einkaufswagen um einen nicht alltäglichen Gegenstand handelt, der bewegt wurde. Unabhängig von dem eigenwilligen Bewegungsverhalten der Einkaufswagen, das selbst ausgewachsene Menschen hinlänglich kennen, war zudem zu berücksichtigen, dass der Wagen ca. 1 m hoch war und schon allein aufgrund der Größenverhältnisse nicht davon ausgegangen werden konnte, dass das Kind den Wagen ständig unter Kontrolle habe. Aufgrund der frei beweglichen Räder könne auch ein unverhoffter Richtungswechsel nie auszuschließen sein. Weiterhin war noch zu berücksichtigen, dass sich im Wegebereich Fahrzeuge befanden, so dass die Gefahr einer Beschädigung fremder Sachen nicht ganz fernlag. Unter diesen Umständen hätte der Vater zumindest mitgehen müssen, um gegebenenfalls lenkend einzugreifen.

Hinweis: Im Straßenverkehr richtet sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach der konkreten Gefahrensituation, wie sie sich beispielsweise aus dem Straßenverlauf, der Verkehrsdichte und der Verkehrssituation ergibt. Das Gleiche gilt für die Belehrung des Kindes für das Verhalten im Straßenverkehr. Der Aufsichtspflichtige muss in der konkreten Gefahrensituation die richtigen Anweisungen gegeben haben, die ihm zumutbar und nach der Lebenserfahrung geeignet sind, einen Schaden hinsichtlich dritter Personen zu verhindern.


Quelle: AG Neunkirchen, Urt. v. 26.05.2023 - 4 C 33/22 (02)
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 10/2023)

Betrunkener E-Scooter-Fahrer: Gesamtschau entscheidet über Ausnahme beim Fahrerlaubnisentzug

Weder Kennzeichen noch Blinker und eben auch keine schützende Hülle außer der bekleideten eigenen Haut: Fahrradfahren ist mit vielen Risiken behaftet. Und genau darum gilt auch besondere Vorsicht für jeden, der sich auf zwei Rädern durchs Leben bewegt. Im folgenden Fall hatte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) nicht etwa die Unfallfolgen von zwei ungleich "starken" Beteiligten, sondern die von zwei Radfahrern zu bewerten, die miteinander kollidiert waren.

Weder Kennzeichen noch Blinker und eben auch keine schützende Hülle außer der bekleideten eigenen Haut: Fahrradfahren ist mit vielen Risiken behaftet. Und genau darum gilt auch besondere Vorsicht für jeden, der sich auf zwei Rädern durchs Leben bewegt. Im folgenden Fall hatte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) nicht etwa die Unfallfolgen von zwei ungleich "starken" Beteiligten, sondern die von zwei Radfahrern zu bewerten, die miteinander kollidiert waren.

Ein Mann und eine Frau hatten sich zu einer Radtour verabredet und fuhren auf dem Radweg nebeneinander. Plötzlich bog der rechts fahrende Radler nach links ab und kollidierte dabei mit der links neben ihm fahrenden Radfahrerin. Diese stürzte und verletzte sich schwer. Die Geschädigte forderte Schadensersatz und Schmerzensgeld - doch die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers verweigerte die Zahlung. Sie berief sich darauf, dass der Mann vor dem Abbiegen durch Zuruf den Richtungswechsel angekündigt habe. Daher sei die Frau selbst schuld.

Das OLG gab jedoch der Geschädigten recht. Will einer von zwei nebeneinander fahrenden Radfahrern abbiegen, muss er sich so verhalten, dass eine Kollision ausgeschlossen ist. Und eben dies war hier nicht geschehen. Abgesehen davon, dass der Mann nicht beweisen konnte, dass er die Abbiegeabsicht bereits verbal geäußert hatte, hätte er in dieser Fahrsituation anders handeln müssen. Da er rechts von der Frau fuhr, musste er deren Weg kreuzen, daher hatte er eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, eine Kollision zu verhindern. Er hätte also eindeutig und mit deutlichen Handzeichen seine Abbiegeabsicht erkennbar machen müssen. Ein Mitverschulden der Frau war dabei nicht erkennbar.

Hinweis: Die Verpflichtung, den Fahrtrichtungswechsel anzuzeigen, gilt auch für Radfahrer. Da der Radfahrer, der abbiegen wollte, weder durch ein deutliches Handzeichen noch durch erkennbare Drosselung seiner Geschwindigkeit den Fahrtrichtungswechsel angezeigt hat, ergaben sich für die verunfallte Radfahrerin keine Anhaltspunkte für das beabsichtigte Abbiegemanöver, auf welche sie sich hätte einstellen können. Hiermit musste sie nicht rechnen, so dass der abbiegende Radfahrer allein haftet.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.06.2023 - 10 U 255/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 10/2023)

Gesteigerte Sorgfaltspflicht: Radfahrer muss Abbiegeabsicht dem neben ihm Radelnden deutlich ankündigen

Der folgende Fall des Landgerichts Frankenthal (LG) hat es in sich. Denn hier stand die Frage im Raum, ob ein vor einer Fahrzeugkontrolle Flüchtender für Unfallfolgen haften muss, die auf den ersten Blick die polizeilichen Verfolger verursacht haben. Und wie es eben so ist, für die Gesamtbetrachtung stellt das Gericht vor der Beantwortung die Gegenfrage in den Raum, ob die Fahrweise der Polizei als unangemessen zu betrachten war.

Der folgende Fall des Landgerichts Frankenthal (LG) hat es in sich. Denn hier stand die Frage im Raum, ob ein vor einer Fahrzeugkontrolle Flüchtender für Unfallfolgen haften muss, die auf den ersten Blick die polizeilichen Verfolger verursacht haben. Und wie es eben so ist, für die Gesamtbetrachtung stellt das Gericht vor der Beantwortung die Gegenfrage in den Raum, ob die Fahrweise der Polizei als unangemessen zu betrachten war.

Statt den Anweisungen der Polizei zum Zweck einer Fahrzeugkontrolle Folge zu leisten, trat ein Autofahrer auf der Autobahn aufs Gaspedal und flüchtete. Er verließ schließlich die Autobahn und fuhr über Bundes- und Kreisstraßen, während die Polizei ihm folgte. Und eben die entdeckte den Flüchtenden schließlich auf einem Parkplatz, auf den sie auch prompt auffahren wollte. Dabei geriet das Polizeifahrzeug jedoch aufgrund des Bremsmanövers ins Schlingern und prallte gegen eine Leitplanke. Die Polizeibehörde forderte nun Schadensersatz von dem Geflohenen. Dieser verweigerte die Zahlung jedoch mit dem Hinweis, es habe ein Fahrfehler der Polizei vorgelegen, schließlich habe er selbst schon auf dem Parkplatz gestanden.

Das LG gab hingegen der Behörde Recht. Nach Ansicht des Gerichts haftet der verfolgte Autofahrer nur dann nicht für einen derart entstandenen Schaden, wenn die Fahrweise der Polizei völlig unangemessen gewesen sei. Das aber war hier nicht der Fall gewesen. Vielmehr seien die lange Verfolgungsfahrt und auch das starke Bremsmanöver, das zum Schlingern des Polizeifahrzeugs führte, auf die von dem Verfolgten geschaffene Situation zurückzuführen. Um den Flüchtenden zu ergreifen, habe der Polizeibeamte beim Bremsen ein gewisses Risiko eingehen müssen.

Hinweis: Wer eine Verfolgung durch die Polizei heraufbeschwört, kann sich nicht auf ein Verschulden des anderen berufen. Die Grenze der Zurechnung ist erst dann überschritten, wenn sich die Verfolger in gänzlich unangemessener Weise einer Gefahr aussetzen. Hier waren sowohl die Verfolgung als auch das harte Bremsmanöver geboten, nachdem der Flüchtende auf dem Parkplatz entdeckt worden war.
 
 


Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 24.05.2023 - 1 O 50/22
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 10/2023)

Haftung für Mindestlohn? Außenstehenden Dritten haften GmbH-Geschäftsführer grundsätzlich nicht persönlich

Wer "arm im Sinne des Gesetzes" ist, kann Verfahrenskostenhilfe (VKH) bewilligt bekommen. Dazu gehört auch eine Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse, und das bis vier Jahre nach Verfahrensabschluss. Wem VKH (auch Prozesskostenhilfe) bewilligt wurde, muss in dieser Zeit unaufgefordert mitteilen, wenn sich die wirtschaftliche Situation verbessert hat. Ein Unterlassen kann zur Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung führen - wo wir beim Kernpunkt des folgenden Falls sind, den das Oberlandesgericht Dresden (OLG) zu entscheiden hatte.

Wer "arm im Sinne des Gesetzes" ist, kann Verfahrenskostenhilfe (VKH) bewilligt bekommen. Dazu gehört auch eine Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse, und das bis vier Jahre nach Verfahrensabschluss. Wem VKH (auch Prozesskostenhilfe) bewilligt wurde, muss in dieser Zeit unaufgefordert mitteilen, wenn sich die wirtschaftliche Situation verbessert hat. Ein Unterlassen kann zur Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung führen - wo wir beim Kernpunkt des folgenden Falls sind, den das Oberlandesgericht Dresden (OLG) zu entscheiden hatte.

Einer Mutter, deren einziges Einkommen Elterngeld war und die in einen Umgangsstreit vor Gericht verwickelt war, wurde VKH zugestanden. Nach dem Verfahren war sie dann auch wieder berufstätig geworden und bezog dadurch deutlich höhere Einkünfte als das Elterngeld - allerdings immer noch so wenig, dass sie weiterhin "arm" war. Dennoch entzog das Amtsgericht ihr die bewilligte VKH und forderte über 3.000 EUR - und zwar als Sanktion dafür, dass sie die Einkommenserhöhung nicht unaufgefordert mitgeteilt hatte.

Das Gericht kann die Bewilligung der VKH aufheben, wenn der Beteiligte dem Gericht wesentliche Verbesserungen seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Bezieht er ein laufendes monatliches Einkommen, ist eine Einkommensverbesserung nur wesentlich, wenn die Differenz zu dem bisher zugrunde gelegten Bruttoeinkommen nicht nur einmalig 100 EUR übersteigt. Dies gilt entsprechend, wenn abzugsfähige Belastungen entfallen. Es stand daher die Frage im Raum, ob durch die Einkommenserhöhung von "100 EUR monatlich mehr" die Bedürftigkeitsvoraussetzungen entfallen. Das OLG erläuterte, dass diese Rechtsfrage durchaus uneinheitlich beantwortet wird, und stellte sich daraufhin auf die Seite der Frau. In den Augen des OLG könnten vom Gesetzgeber nur verschwiegene Einkommenserhöhungen, mit denen man aus der Armutsgrenze herauskommt, gemeint gewesen sein. Und über diese Schwelle ist die Frau hier leider noch nicht gegangen.

Hinweis: Die Mitteilungspflichten gehen aus dem Kleingedruckten im Formular hervor, das der VKH-Antragsteller ausfüllen und unterschreiben muss. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass diese Hinweise selten gelesen werden. In den meisten Bewilligungsbeschlüssen zur VKH wird der Hinweis auf diese Pflicht auch nicht wiederholt.


Quelle: OLG Dresden, Urt. v. 14.08.2023 - 18 WF 203/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 10/2023)

Handynutzender Busfahrer: Lebenslanges Fahrverbot durch marktbeherrschendes Unternehmen ist unverhältnismäßig

Dass Betriebsräte ein Stein im Schuh der Arbeitgeber sein können, nicken sicher auch Arbeitnehmer ab. Denn die Interessen von Arbeitgebern und -nehmern laufen naturgemäß oft zuwider. Deshalb aber zu versuchen, dem Betriebsrat das (Arbeits-)Leben schikanös zu erschweren, fällt oft auf die Arbeitgeber selbst zurück. So wie im Fall des Landesarbeitsgerichts Köln (LAG): Der zugrundeliegende Streit war nicht nur bereits im Kern unsinnig - er führte auch dazu, dass der Arbeitgeber letztlich das gesamte Verfahren zu zahlen hatte.

Dass Betriebsräte ein Stein im Schuh der Arbeitgeber sein können, nicken sicher auch Arbeitnehmer ab. Denn die Interessen von Arbeitgebern und -nehmern laufen naturgemäß oft zuwider. Deshalb aber zu versuchen, dem Betriebsrat das (Arbeits-)Leben schikanös zu erschweren, fällt oft auf die Arbeitgeber selbst zurück. So wie im Fall des Landesarbeitsgerichts Köln (LAG): Der zugrundeliegende Streit war nicht nur bereits im Kern unsinnig - er führte auch dazu, dass der Arbeitgeber letztlich das gesamte Verfahren zu zahlen hatte.

Der Betriebsrat hatte in einem Verfahren einen Beschluss des Arbeitsgerichts (ArbG) erwirkt, wonach ihm ein funktionsfähiger Laptop zur Verfügung zu stellen ist. Die Filialdirektorin der Arbeitgeberin erklärte daraufhin dem Betriebsratsvorsitzenden, sie händige den Laptop nur unter der Voraussetzung aus, dass man ihr sage, wo sie diesen befestigen könne. Die Arbeitgeberin meinte nämlich, mit der Verpflichtung zur Überlassung eines Laptops sei nicht der standortunabhängige Einsatz verbunden. Zudem habe sie ein Interesse daran, den Laptop durch die Befestigung vor Verlust oder Beschädigung zu sichern. Der Betriebsrat wollte daraufhin die Entscheidung des ArbG durch eine Zwangsvollstreckung umsetzen. Dagegen wiederum zog die Arbeitgeberin vor die Gerichte.

Das LAG entschied, dass die Überlassung eines Laptops unter der Bedingung, diesen im Betriebsratsbüro zu befestigen, den Anspruch des Betriebsrats nicht erfülle. Ein Laptop ist per Definition nämlich ein Mobilgerät - und damit eben auch standortunabhängig verwendbar. Eine Befestigung würde damit der definitionsgemäßen Verwendungsmöglichkeit entgegenstehen. Und schließlich gehöre der pflegsame Umgang mit überlassenen Sachmitteln zu den Rücksichtnahmepflichten des Betriebsrats nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Anhaltspunkte dafür, dass die Besorgnis berechtigt sei, der Betriebsrat würde dem nicht entsprechen, bestanden nicht.

Hinweis: Ein Arbeitgeber, der verpflichtet ist, seinem Betriebsrat ein Laptop zur Verfügung zu stellen, kommt dieser Verpflichtung nicht nach, wenn er auf der festen Montage des Geräts besteht. Anhand dieses Falls ist gut erkennbar, dass Streitigkeiten zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat auch übertrieben werden können.


Quelle: LAG Köln, Beschl. v. 05.06.2023 - 5 Ta 26/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 10/2023)

Keine Modernisierungsmaßnahme: Bloßer Austausch von Rauchmeldern führt nicht zur Mieterhöhung

"Augen auf im Straßenverkehr!" ist immer eine gute Devise. Und die gilt in Verbindung mit Geschwindigkeit und Fallhöhe vor allem auch für die relativ ungeschützten Radler, wie der folgende Fall des Landgerichts Köln (LG) beweist. Denn hier war die Frage, ob eine Gemeinde stets für optimale Straßenverhältnisse zu sorgen und entsprechend in jedem bzw. für jeden Fall haftbar gemacht werden kann.

"Augen auf im Straßenverkehr!" ist immer eine gute Devise. Und die gilt in Verbindung mit Geschwindigkeit und Fallhöhe vor allem auch für die relativ ungeschützten Radler, wie der folgende Fall des Landgerichts Köln (LG) beweist. Denn hier war die Frage, ob eine Gemeinde stets für optimale Straßenverhältnisse zu sorgen und entsprechend in jedem bzw. für jeden Fall haftbar gemacht werden kann.

Eine Radfahrerin befuhr eine Ortsverbindungsstraße, auf der zu Entwässerungszwecken eine Teerschwelle von 30 cm Breite und 10 cm Höhe aufgebracht worden war. Um die Schwelle zu passieren, stoppte sie abrupt und fiel einige Meter weiter zu Boden. Sie zog sich erhebliche Verletzungen zu und forderte Schadensersatz und Schmerzensgeld von der Gemeinde. Ihrer Meinung nach habe diese nicht ausreichend vor der Schwelle gewarnt oder diese ausreichend kenntlich gemacht. Daher liege eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor.

Das LG wies die Klage ab. Die Schwelle sei aufgrund ihrer (im Vergleich zur Fahrbahn) dunkleren Färbung für die Radfahrerin erkennbar gewesen. Wäre sie mit der gebotenen Sorgfalt und angepasster Geschwindigkeit unterwegs gewesen, hätte sie die Schwelle rechtzeitig erkennen müssen. Die Gemeinde ist nicht verpflichtet, vor Hindernissen zu warnen, die erkennbar sind. Zudem dürften Fahrradfahrer auch nicht darauf vertrauen, dass immer optimale Straßenverhältnisse vorherrschen - im Gegenteil: Sie müssen vielmehr immer mit Unebenheiten rechnen.

Hinweis: Verkehrssicherungspflicht bedeutet nicht, dass Straßen gefahrlos und frei von allen Mängeln sein müssen, denn eine vollständige Gefahrlosigkeit kann mit zumutbaren Mitteln nicht erreicht werden. Es sind allerdings diejenigen Gefahren auszuräumen, die für einen sorgfältigen Benutzer der Straße nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag. Bei Radwegen können gefährliche Vertiefungen und Hindernisse, mit denen der sorgfältige Radfahrer nicht zu rechnen braucht, zu einer Haftung wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung führen.


Quelle: LG Köln, Urt. v. 16.05.2023 - 5 O 16/23
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 10/2023)

Teerschwelle auf dem Weg: Keine Haftung nach Sturz über erkennbare Hindernisse

Das Landgericht Osnabrück (LG) hatte im Rahmen eines Berufungsverfahrens über die Frage zu entscheiden, ob bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen ist oder ob es auch hier Ausnahmen zur Regel geben kann. Wie so oft bei Rechtsfragen, hieß es auch hier: "Kommt ganz drauf an." Und wenn man die sogenannte Gesamtschau berücksichtigt, wird auch klar, warum.

Das Landgericht Osnabrück (LG) hatte im Rahmen eines Berufungsverfahrens über die Frage zu entscheiden, ob bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen ist oder ob es auch hier Ausnahmen zur Regel geben kann. Wie so oft bei Rechtsfragen, hieß es auch hier: "Kommt ganz drauf an." Und wenn man die sogenannte Gesamtschau berücksichtigt, wird auch klar, warum.

Der Betroffene war mit einem Blutalkoholwert von 1,44 ‰ von der Polizei aufgegriffen worden. Erstinstanzlich hatte das Amtsgericht Osnabrück in seinem Urteil vom 02.02.2023 von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen und stattdessen ein Fahrverbot von fünf Monaten ausgesprochen. Hiergegen richtete sich die Berufung der Staatsanwaltschaft.

Das LG hat mit seinem Urteil die Berufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen. Im Rahmen der Urteilsbegründung wurde betont, dass zwar nach obergerichtlicher Rechtsprechung bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis entzogen werden kann. Dass bei einer Trunkenheitsfahrt die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, stellt hierbei den Regelfall dar. Ob eine Ausnahme besteht, ist durch eine Gesamtschau zu ermitteln. Grundsätzlich werden an die Annahme einer solchen Ausnahme aber sehr hohe Anforderungen gestellt. Nach Auffassung der Kammer lag hier ein solcher Ausnahmefall vor. Der Angeklagte hatte beabsichtigt, nur eine äußerst kurze Strecke - rund 150 m - mit dem E-Scooter zu fahren. Er hat nicht nur sein Verhalten bereut und hierfür um Entschuldigung geben, sondern auch an einem verkehrspädagogischen Seminar teilgenommen und medizinisch nachgewiesen, dass er in den vergangenen Monaten keinen Alkohol getrunken habe. Das Gericht ging daher davon aus, dass der Angeklagte - nunmehr - geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ist und mithin eine Ausnahme vom Regelfall des Fahrerlaubnisentzugs vorliegt.

Hinweis: Der Bundesgerichtshof hatte im April 2023 entschieden, dass die Wertgrenze von 1,1 ‰ auch beim Fahren mit einem E-Scooter (Höchstgeschwindigkeit rund 25 km/h) zu der unwiderlegbaren Vermutung der absoluten Fahruntüchtigkeit führt. Nach der Regelvermutung zu § 69 Abs. 2 Nr. 2 Strafgesetzbuch ist bei Trunkenheitsfahrten der Führerschein zu entziehen. Diese Vermutung ist widerlegbar. Ob bei einer - vermuteten - absoluten Fahruntüchtigkeit bie der Nutzung eines E-Scooters auch eine Entziehung der Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist, ist in der Rechtsprechung umstritten. Es kommt darauf an, ob bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter im Gegensatz zur Nutzung eines Kraftfahrzeugs ein geringeres abstraktes Gefährdungspotential besteht.


Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 17.08.2023 - 5 NBs 59/23
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 10/2023)

Unmobiles Mobilgerät? Arbeitgeber darf nicht auf feste Montage des Betriebsratslaptops bestehen

Vor dem Arbeitsgericht Suhl (ArbG) standen sich ein Arbeitgeber und dessen Betriebsrat gegenüber. Grund war eine Anordnung des Arbeitgebers über Arbeitskleidung. Dabei wurde hier noch nicht einmal vorgeschrieben, welche Bekleidung genau zu tragen sei, sondern vielmehr, welche nicht.

Vor dem Arbeitsgericht Suhl (ArbG) standen sich ein Arbeitgeber und dessen Betriebsrat gegenüber. Grund war eine Anordnung des Arbeitgebers über Arbeitskleidung. Dabei wurde hier noch nicht einmal vorgeschrieben, welche Bekleidung genau zu tragen sei, sondern vielmehr, welche nicht.

Nach Übernahme durch einen Konkurrenten hing der Arbeitgeber im Betrieb ein Schreiben aus, dass das Tragen der alten Arbeitskleidung mit dem Logo des vorigen Unternehmens oder mit Logos anderer Arbeitgeber nicht mehr gestattet sei. Dagegen beantragte der Betriebsrat den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Er war der Ansicht, dass die Aushänge ein Eingriff in sein Mitbestimmungsrecht seien. Das Tragen von Arbeitskleidung unterfiele schließlich der Mitbestimmungspflicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz. Die Ordnung und das Verhalten im Betrieb seien betroffen.

Das sah das ArbG allerdings anders. Dem Betriebsrat stand weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund zur Seite. Zudem waren keine wesentlichen Nachteile erkennbar, die eine Eilentscheidung gerechtfertigt hätten. Zunächst hatte der Betriebsrat nicht schnell genug reagiert. Er hatte einen Monat abgewartet - und das ist für ein einstweiliges Verfahren in aller Regel zu lang. Und auch inhaltlich sah das Gericht es anders als der Betriebsrat. Der Arbeitgeber ist berechtigt, Regelungen zu erlassen, die das Verhalten der Beschäftigten im Betrieb beeinflussen und koordinieren sollen. Das ergibt sich aus dem sogenannten Weisungsrecht aus § 106 Gewerbeordnung. Die Anweisung, Arbeitsbekleidung mit firmenfremdem Logo nicht tragen zu dürfen, betrifft nicht das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer und ist deshalb nicht mitbestimmungspflichtig. Das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer ist nur dann berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt.

Hinweis: Arbeitgeber dürfen das Tragen von Arbeitskleidung mit Logos anderer Arbeitgeber auf dem Betriebsgelände ohne Beteiligung des Betriebsrats verbieten.


Quelle: ArbG Suhl, Beschl. v. 27.07.2023 - 4 BVGa 2/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 10/2023)

Verletzung der Aufsichtspflicht: Beschaffenheit eines Einkaufswagens verbietet es, Fünfjährige allein damit rangieren zu lassen

Dieser Fall hat natürlich auch seine Relevanz im Verkehrsrecht. Dennoch ist der arbeitsrechtliche Aspekt hier auschlaggebend. Denn es war eine Verkehrsgesellschaft, die einem Busfahrer, der durch einen Subunternehmer angestellt war, eine lebenslange Sperre erteilt hat, die natürlich eine Kündigung nach sich zog. Nun war es am Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG), diese weitreichenden Folgen mit der Ordnungswidrigkeit der Handynutzung am Steuer abzuwägen.

Dieser Fall hat natürlich auch seine Relevanz im Verkehrsrecht. Dennoch ist der arbeitsrechtliche Aspekt hier auschlaggebend. Denn es war eine Verkehrsgesellschaft, die einem Busfahrer, der durch einen Subunternehmer angestellt war, eine lebenslange Sperre erteilt hat, die natürlich eine Kündigung nach sich zog. Nun war es am Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG), diese weitreichenden Folgen mit der Ordnungswidrigkeit der Handynutzung am Steuer abzuwägen.

Der Busfahrer war bei einem privaten Busunternehmen angestellt, das seinerseits wiederum als Subunternehmerin für eine GmbH tätig war, die ihrerseits von einer städtischen Verkehrsgesellschaft beauftragt worden war. Der Busfahrer war auf einer der Linien der Verkehrsgesellschaft gefahren. Ein Fahrgast hatte ihn bei der Handynutzung während der Fahrt gefilmt und die Verkehrsgesellschaft darüber informiert. Diese sperrte den Busfahrer für die Zukunft auf allen ihren Linien. Das als Subunternehmen tätige Busunternehmen kündigte daraufhin dem Busfahrer aufgrund der Sperre fristlos das Arbeitsverhältnis. Gegen die lebenslange Sperre klagte nun der Busfahrer: Die Verkehrsgesellschaft missbrauche durch die zeitlich unbefristete Sperre ihre Marktmacht. Er würde in erreichbarer Entfernung von seinem Wohnort keine Anstellung mehr als Busfahrer im Liniennahverkehr finden. Die Verkehrsgesellschaft würde als marktbeherrschendes Unternehmen fast das gesamte Nahverkehrsbusnetz betreiben. Und selbst die Straßenverkehrsordnung sähe allenfalls ein Fahrverbot im schlimmsten Fall von maximal drei Monaten vor.

Auch das OLG ging von einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung aus und sah die lebenslange Sperre als nicht gerechtfertigt an. Auch, wenn die Benutzung eines Handys während der Fahrt einen erheblichen Verkehrs- und Pflichtenverstoß darstellt, war die Sperre unverhältnismäßig - und damit unzulässig.

Hinweis: Natürlich dürfen gerade Busfahrer am Steuer kein Handy benutzen. Trotzdem hat der Arbeitgeber auch auf solche Vorfälle mit der gebotenen Verhältnismäßigkeit zu reagieren.


Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.08.2023 - VI-6 U 1/23 (Kart)
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 10/2023)