Erbfeststellungsklage vorrangig: Vor einer Verfassungsbeschwerde sind alle Rechtsschutzmöglichkeiten auszuschöpfen

Mit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde kann die Verletzung von Grundrechten geltend gemacht werden. Bevor der Weg zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eröffnet ist, müssen zunächst aber auch alle verfügbaren rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um eine Korrektur der vermeintlichen Grundrechtsverletzung zu erreichen.

Mit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde kann die Verletzung von Grundrechten geltend gemacht werden. Bevor der Weg zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eröffnet ist, müssen zunächst aber auch alle verfügbaren rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um eine Korrektur der vermeintlichen Grundrechtsverletzung zu erreichen.

In dem kürzlich entschiedenen Fall wandte sich ein vermeintlicher Erbe an das BVerfG, um gegen eine gerichtliche Entscheidung in einem abgeschlossenen Erbscheinsverfahren vorzugehen. Seine Begründung war, dass seine Grundrechte aufgrund von Verfahrensfehlern im Erbscheinsverfahren verletzt worden seien.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer noch nicht alle Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft habe. Ein vermeintlicher Erbe, der sogenannte Erbprätendent, könne neben der Durchführung eines Erbscheinsverfahrens vor den Fachgerichten eine Erbenfeststellungsklage erheben, um auf diesem Weg die Feststellung zu erreichen, Erbe geworden zu sein. Das Prozessgericht ist hierbei nicht gehindert, von den Feststellungen des Nachlassgerichts abzuweichen. Das BVerfG hat auf diesem Wege klargestellt, dass der Vorrang der Erbenfeststellungsklage nicht nur in den Fällen gilt, in denen es um eine inhaltliche Überprüfung des Ergebnisses des Erbscheinsverfahrens geht, sondern auch in den Fällen, in denen ein Verfahrensfehler im Erbscheinsverfahren geltend gemacht wird.

Hinweis: Verfahren vor dem BVerfG sind grundsätzlich kostenfrei. Bei offensichtlich aussichtslosen Anträgen kann eine Missbrauchsgebühr erhoben werden.


Quelle: BVerfG, Beschl. v. 13.07.2024 - 1 BvR 1929/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Auto lädt Allgemeinstrom: Geringer Schadenswert und Wille zu Schadenswiedergutmachung stehen fristloser Kündigung entgegen

Stromdiebstahl stellt unbestritten eine Straftat dar. Ob ein solcher Diebstahl aber auch gleich zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses führen kann, sobald ein Mieter sein Elektroauto ohne Befugnis mit dem Strom des Vermieters auflädt, klärte im Folgenden das Amtsgericht Leverkusen (AG).

Stromdiebstahl stellt unbestritten eine Straftat dar. Ob ein solcher Diebstahl aber auch gleich zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses führen kann, sobald ein Mieter sein Elektroauto ohne Befugnis mit dem Strom des Vermieters auflädt, klärte im Folgenden das Amtsgericht Leverkusen (AG).

Hier ging es um eine dreiköpfige Familie als Mieterin einer Wohnung im ersten Obergeschoss nebst dazugehörigem Kellerraum und Parkplatz neben dem Haus. Die Familie hatte ihr Elektroauto mindestens zehnmal über eine Allgemeinstromsteckdose des Hauses aufgeladen. Hierauf wurde der Vermieter durch E-Mails mehrerer Mieter aufmerksam gemacht. Dadurch sind Mehrkosten für den verbrauchten Strom entstanden, der über die Position Allgemeinstrom in den Betriebskosten auf alle Mieter umgelegt werde. Daraufhin kündigte der Vermieter das Mietverhältnis fristlos. Die Familie bedauerte ihr Verhalten ausdrücklich und bot dem Vermieter an, die Mehrkosten für den Allgemeinstrom zu übernehmen, auch um den Hausfrieden wiederherzustellen. Sie boten ihm konkret eine Schadensersatzzahlung von 600 EUR an. Der Vermieter erhob trotzdem Räumungsklage, die jedoch abgewiesen wurde.

Der Schaden für die Hausgemeinschaft belief sich auf einen Betrag von unter 50 EUR. Deshalb konnte der Vermieter laut AG nicht einfach fristlos kündigen. Das galt insbesondere deshalb, weil die Mieter eine Schadenswiedergutmachung angeboten hatten. Eine Unversöhnlichkeit stelle keinen Kündigungsgrund für den Vermieter dar. Das Kündigungsrecht diene schließlich nicht der Bestrafung des Mieters. Für eine solche wären andere Instanzen zuständig.

Hinweis: Anhand dieses Falls zeigt sich wieder einmal, dass Strafrecht und Zivilrecht auseinanderfallen können. Nicht alles, was eine Straftat darstellt, wird auch gleich zu einem Kündigungsgrund.


Quelle: AG Leverkusen, Urt. v. 17.05.2024 - 22 C 157/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Zuweisung nach Trennung: Wer die Kinder erzieht, bleibt in der Ehewohnung

Trennen sich Ehepaare, folgen jede Menge Auseinandersetzungen - vom Versorgungsausgleich bis hin zu der Frage, wer in der Ehewohnung bleiben darf. Oft hängt die Entscheidung über diese Frage daran, wer sich nach der Trennung hauptsächlich um die Kinder kümmern wird. So war es auch in diesem Fall des Amtsgerichts Sigmaringen (AG).

Trennen sich Ehepaare, folgen jede Menge Auseinandersetzungen - vom Versorgungsausgleich bis hin zu der Frage, wer in der Ehewohnung bleiben darf. Oft hängt die Entscheidung über diese Frage daran, wer sich nach der Trennung hauptsächlich um die Kinder kümmern wird. So war es auch in diesem Fall des Amtsgerichts Sigmaringen (AG).

Eine Familie lebte zusammen in einem größeren Haus, das dem Familienvater gehörte. Dieser kümmerte sich auch hauptsächlich um die Kinder. Die Mutter arbeitete in Vollzeit. Als sich die Eltern trennten, blieb die Mutter mit den Kindern im Haus. Der Vater zog zu seinen Eltern, die im selben Ort wohnten. Doch sowohl Vater als auch Mutter beantragten nun vor Gericht, in der Ehewohnung bleiben zu dürfen.

Schlussendlich wurde der Mutter vom AG das Bleiberecht zugesprochen. Zwar hatte sich bislang der Vater hauptsächlich um die Kinder gekümmert, nun jedoch tat es die Mutter. Und grundsätzlich ist eine Wohnung vorzugsweise dem Elternteil zuzuweisen, der die gemeinsamen Kinder hauptsächlich betreut (§ 1361b Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Kinder haben ein großes Bedürfnis nach einer geordneten, ruhigen und möglichst entspannten Familiensituation ohne örtliche Veränderungen. Dieses Bedürfnis steht über dem Interesse des nicht betreuenden Elternteils am Verbleib in der Wohnung. Eine Wohnung dem nicht betreuenden Elternteil zuzuweisen, würde bedeuten, dass die Kinder sich entweder von der Hauptbezugsperson trennen oder aber mit der Hauptbezugsperson in eine andere Wohnung ziehen müssten. Und ebendies widerspreche eindeutig dem Kindeswohlinteresse.

Hinweis: Keine Regel ohne Ausnahme! Elternteile, die die Kinder nicht betreuen, können in der Ehewohnung bleiben - und zwar dann, wennn sie daran ein besonderes Interesse haben. Ein solches kann vorliegen, wenn durch den Auszug der Umgang mit den Kindern unmöglich gemacht würde. Wer als nicht betreuender Elternteil in der Ehewohnung bleiben möchte, müsste also so ein Interesse vortragen.


Quelle: AG Sigmaringen, Beschl. v. 29.07.2024 - 2 F 189/24 eA
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Amtseinsetzung ohne Handschlag: Telefonische Bestallung des Vormunds während Corona-Pandemie wirksam

Bis zum 31.12.2022 sollte die Bestallung eines Vormunds mittels Handschlags bei persönlicher Anwesenheit des Vormunds erfolgen. Die Einsetzung in das Amt konnte jedoch auch ohne Handschlag per Telefon wirksam erfolgen, wenn es für ein Abweichen vom Regelfall nachvollziehbare Gründe wie eine Pandemie gab. Genau so war es in dem Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).

Bis zum 31.12.2022 sollte die Bestallung eines Vormunds mittels Handschlags bei persönlicher Anwesenheit des Vormunds erfolgen. Die Einsetzung in das Amt konnte jedoch auch ohne Handschlag per Telefon wirksam erfolgen, wenn es für ein Abweichen vom Regelfall nachvollziehbare Gründe wie eine Pandemie gab. Genau so war es in dem Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).

Im April 2020 wurde eine Frau zur Vormundin über zwei Kinder bestellt. Den Eltern war das Sorgerecht entzogen worden. Die Vormundschaft sollte berufsmäßig geführt werden. Die Verpflichtung der Vormundin fand aufgrund der Corona-Pandemie allerdings nur telefonisch statt. Auf eine Verpflichtung "mittels Handschlags an Eides statt" verzichtete man wegen der damaligen pandemischen Lage. Über das Telefonat wurde allerdings ein ausführlicher Bericht geschrieben. Als die Vormundin dann ihren Vergütungsantrag bei der Staatskasse einreichte, wurde er abgelehnt. Das Argument war, dass keine ordnungsgemäße Bestallung stattgefunden habe. Die Vormundin klagte ihren Vergütungsanspruch ein - und gewann.

Schließlich sei die Vormundin in Augen des OLG telefonisch über ihre Aufgaben und Pflichten unterrichtet und zu treuer und gewissenhafter Führung des Amts verpflichtet worden. Dass nur ein Telefonat stattgefunden habe, stehe einer wirksamen Bestallung nicht entgegen. Schließlich handele es sich bei der alten Gesetzesfassung nur um eine Sollvorschrift - damit seien sowohl Handschlag als auch persönliche Anwesenheit nicht gänzlich unverzichtbar.

Hinweis: Sollen heißt nicht müssen. Auch eine telefonische Bestallung ist grundsätzlich wirksam und steht dem Vergütungsanspruch nicht entgegen. Für alle ab dem 01.01.2023 bestallten Vormunde gilt das Handschlagsprinzip durch Gesetzesänderung nicht mehr - hier stellt die telefonische Bestallung kein Problem dar.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 08.08.2024 - 7 WF 74/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Kontinuität und Stabilität: Allein das Kindeswohl ist bei Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu berücksichtigen

Lassen sich Eltern scheiden und können sich diese nicht über das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die Kinder verständigen, muss ein Gericht entscheiden. Bei der Entscheidungsfindung hat das Kindeswohl für das Gericht als Entscheidungskriterium oberste Priorität - so auch für das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).

Lassen sich Eltern scheiden und können sich diese nicht über das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die Kinder verständigen, muss ein Gericht entscheiden. Bei der Entscheidungsfindung hat das Kindeswohl für das Gericht als Entscheidungskriterium oberste Priorität - so auch für das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).

Die Eltern eines vierjährigen Jungen stritten sich um dessen Aufenthaltsbestimmungsrecht. Das Kind lebte bei der in Vollzeit arbeitenden Mutter und deren Großeltern und wurde zu Hause betreut. Der Kindesvater lebte mit seiner Schwester in einer anderen Stadt, in der auch seine Mutter sowie seine aktuelle Lebensgefährtin wohnten. Als die Mutter nun ebenso einen neuen Lebensgefährten kennenlernte, wollte sie mit dem Sohn zu diesem in eine fremde Stadt ziehen. Der Vater stellte daraufhin gerichtlich einen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn. Der Sohn sei bei ihm "zu Hause" und habe eine starke Bindung zum Vater. Die Kindesmutter beantragte ihrerseits die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich.

Die Kindesmutter verlor sowohl vor dem Amtsgericht als auch mit ihrer Beschwerde vor dem OLG. Entschieden wurde nach Anhörung der Eltern, des Kindes, der Stellungnahmen von Verfahrensbeiständin und des Jugendamts - und zwar auf Basis der dem Wohl des Kindes am besten entsprechenden Entscheidung (§ 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Ausschlaggebend waren Erwägungen der Kontinuität und Stabilität der kindlichen Lebensbedingungen. Nur bei einem Verbleib beim Vater - in dessen vertrauten Haushalt mit vertrauten Bezugspersonen - könne beides gewährleistet werden. Die Mutter war bislang zwar Hauptbezugsperson, aber mit dem Umzug wäre das Kind in eine neue Umgebung gezogen und hätte ihm wichtige Bezugspersonen verloren.

Hinweis: Soll eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts erreicht werden, muss sorgfältig dargelegt werden, warum der Antrag dem Kindeswohl entspricht. Wie für Kontinuität für das Kind gesorgt wird und wie für dessen optimale Förderung, muss vorher gut abgewogen werden.
 
 


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 01.08.2024 - 6 UF 117/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Fiktive Beförderung: Nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied bekommt mehr Gehalt zugesprochen

Die Vergütung von freigestellten Betriebsräten führt immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern. Hier ging es um ein nichtfreigestelltes Mitglied, das folglich zwei Aufgabenbereiche gleichzeitig zu bewerkstelligen hatte: seine Arbeit und die Betriebsratstätigkeit. Ob sich diese Doppelbelastung auf die übliche Beförderungspraxis zum Nachteil des Mitarbeiters niederschlagen darf, entschied das Landesarbeitsgericht Hessen (LAG).

Die Vergütung von freigestellten Betriebsräten führt immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern. Hier ging es um ein nichtfreigestelltes Mitglied, das folglich zwei Aufgabenbereiche gleichzeitig zu bewerkstelligen hatte: seine Arbeit und die Betriebsratstätigkeit. Ob sich diese Doppelbelastung auf die übliche Beförderungspraxis zum Nachteil des Mitarbeiters niederschlagen darf, entschied das Landesarbeitsgericht Hessen (LAG).

Der Arbeitnehmer, ein Unternehmensberater bei einer großen Beratungsfirma, arbeitete im Projektgeschäft und war gleichzeitig nicht freigestelltes Mitglied im Betriebsrat. Seine Betriebsratstätigkeit hatte zur Folge, dass er in der internen Projektzuteilung immer häufiger leer ausging. Die Folge war, dass der Arbeitnehmer in den jährlich stattfindenden Beförderungsrunden keine Berücksichtigung fand. In seiner Klage berief sich der Beschäftigte auf den Entgeltschutz für Betriebsräte nach § 37 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) - er verlangte eine höhere Bezahlung und stellte sich auf den Standpunkt, dass er entsprechend seiner Vergleichsgruppe höher eingestuft werden müsse. Das begründete er damit, dass seine vergleichbaren Kollegen wesentlich kürzer auf den jeweiligen Stellen arbeiteten, bevor sie befördert wurden.

Das LAG entschied in der Tat zugunsten des Arbeitnehmers. Denn das Gericht war davon überzeugt, dass der Arbeitnehmer nur wegen seiner Betriebsratstätigkeit nicht in den Genuss eines weiteren beruflichen Aufstiegs gekommen sei. Für den Beschäftigten bestehe deshalb ein Anspruch auf eine fiktive Beförderung nach § 78 Satz 2 BetrVG.

Hinweis: Die Reform der Betriebsratsvergütung ist Ende Juli 2024 in Kraft getreten. Seitdem ist das Benachteiligungsverbot durch einen Mindestvergütungsanspruch ergänzt worden. So darf das Arbeitsentgelt von Betriebsräten nicht geringer bemessen werden als das Entgelt vergleichbarer Kollegen mit betriebsüblicher Entwicklung.


Quelle: LAG Hessen, Urt. v. 17.03.2024 - 10 Sa 923/22
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Umgangsrecht von Rauchern: Aus Passivrauchen folgt noch keine Kindeswohlgefährdung durch den Vater

Paare trennen sich nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Auffassung von richtiger Kindererziehung und richtigem Verhalten vor den Kindern. So kann nach einer Scheidung Streit darüber entstehen, ob einem umgangsberechtigten Elternteil das Rauchen im Beisein der Kinder verboten werden darf. Das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) musste in einem solchen Fall Recht sprechen.

Paare trennen sich nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Auffassung von richtiger Kindererziehung und richtigem Verhalten vor den Kindern. So kann nach einer Scheidung Streit darüber entstehen, ob einem umgangsberechtigten Elternteil das Rauchen im Beisein der Kinder verboten werden darf. Das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) musste in einem solchen Fall Recht sprechen.

Die Eltern zweier Kinder lebten nach ihrer Scheidung getrennt. Die Kinder lebten bei der Mutter, die allein sorgeberechtigt war. Der Vater hatte ein Umgangsrecht. Vom Amtsgericht (AG) wurde ihm die Auflage gemacht, während des Umgangs nicht in den Wohnräumen im Beisein der Kinder zu rauchen. Zudem sollte er die Wohnräume vor dem Umgang ausreichend lüften. Der Vater legte gegen diese Auflage Rechtsmittel ein.

Der Vater gewann vor dem OLG, denn nach dessen Ansicht hatte das AG mit seiner Auflage seine Kompetenzen überschritten. Gerichte können das Umgangsrecht näher regeln (§ 1684 Abs. 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Dies bezieht sich aber in erster Linie auf das Bestimmen von Art, Zeit und Ort des Umgangs. Eine Befugnis, in sonstige Rechte der Eltern einzugreifen, gibt es nicht. Eltern haben nur das zu unterlassen, was die Erziehung erschwert oder das Verhältnis zum anderen Elternteil stören kann. Das Rauchen oder Passivrauchen gehört nicht in diese Kategorie. Sicher ist der Nichtraucher ein besseres Vorbild, und ebenso sicher sind sowohl das Aktiv- als auch das Passivrauchen gesundheitsschädlich - aber eben nicht erziehungsfeindlich.

Hinweis: Gerichte müssen sich bei ihren Entscheidungen im Rahmen der Gesetze bewegen! Sollen einem Elternteil Auflagen gemacht werden, die stark in das Privatleben und die Entscheidungsfreiheit eingreifen, ist stets zu prüfen, ob diese Auflagen noch von familienrechtlichen Vorschriften gedeckt sind. Übergriffige gerichtliche Anordnungen und Auflagen müssen nicht geduldet bzw. befolgt werden. Hier sollten immer Rechtsmittel eingelegt werden.


Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 07.08.2024 - 7 UF 80/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Kindesunterhalt: Auch Erziehende im Wechselmodell können ihre Kinder vertreten

Trennen sich Eltern, sind verschiedene Umgangsmodelle denkbar. Manche Eltern entscheiden sich für das Wechselmodell, bei dem die Kinder mit beiden Elternteilen in engem Kontakt bleiben. Die Kinder wechseln jeweils den Wohnort und leben mal bei dem einen oder mal bei dem anderen Elternteil. Allerdings stellt sich in diesem Modell die Frage, ob die Eltern die Kinder vor Gericht vertreten können. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) war zu diesem Thema gefragt.

Trennen sich Eltern, sind verschiedene Umgangsmodelle denkbar. Manche Eltern entscheiden sich für das Wechselmodell, bei dem die Kinder mit beiden Elternteilen in engem Kontakt bleiben. Die Kinder wechseln jeweils den Wohnort und leben mal bei dem einen oder mal bei dem anderen Elternteil. Allerdings stellt sich in diesem Modell die Frage, ob die Eltern die Kinder vor Gericht vertreten können. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) war zu diesem Thema gefragt.

Die Eltern von vier Kindern trennten sich, und eines der Kinder war noch minderjährig. Die Eltern betreuten das Kind nun im hälftigen Wechselmodell. Als die Mutter für sich und die Tochter Unterhalt einklagte, wurde der Antrag für die minderjährige Tochter abgewiesen. Die Richter des Familiengerichts (FamG) gingen nämlich davon aus, dass die Mutter die Tochter gar nicht vertreten könne - ihr Argument war die Erziehung im hälftigen Wechselmodell. Gegen diese Entscheidung legte die Mutter erfolgreich Beschwerde ein.

Die Richter des OLG wendeten § 1629 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch analog an. Grundsätzlich mache der Elternteil demnach den Unterhalt im Namen des Kindes geltend, der das Kind auch in Obhut habe. Im hälftigen Wechselmodell hat aber keines der Elternteile das Kind in seiner alleinigen Obhut. Und da es in diesem Modell schlichtweg keinen Betreuungsschwerpunkt gebe, könne das Gesetz folglich auch nicht direkt angewendet werden. Damit würden Gerichte jedoch die Kinder im Wechselmodell schlechter stellen als jene, die hauptsächlich von einem Elternteil betreut werden. Das OLG hob den Beschluss der Vorinstanz daher auf, so dass das FamG nun über den Antrag der Mutter in einer erneuten Verhandlung entscheiden muss.

Hinweis: Unkonventionelle Modelle wie das Wechselmodell hatte der Gesetzgeber bei Schaffung der Umgangsregelungen und Unterhaltsregelungen nicht vor Augen. Bedenken Sie dies bei Ihren Anträgen, wenn Sie in einem solchen Modell leben, und nehmen Sie Rücksprache mit Ihrem Rechtsbeistand.


Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2024 - 5 UF 33/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Mindestlohn im Ashram: Rückwirkende Zahlung von 42.000 EUR an Volljuristin für dreijährigen Sevadienst

An das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) wurde folgender Fall zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Einem Yoga-Ashram-Verein wurde zuvor die Ausnahme für eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft verweigert. Außerhalb des damit verbundenen Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts musste das LAG nun entscheiden, was eine einstige Ashramjüngerin rückwirkend für ihre dortigen Dienste erwarten dürfe.

An das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) wurde folgender Fall zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Einem Yoga-Ashram-Verein wurde zuvor die Ausnahme für eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft verweigert. Außerhalb des damit verbundenen Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts musste das LAG nun entscheiden, was eine einstige Ashramjüngerin rückwirkend für ihre dortigen Dienste erwarten dürfe.

Der gemeinnützige und eingetragene Verein betrieb mehrere Zentren und Seminarhäuser. Es ging letztendlich um Yoga-Ashrams. Dort waren Mitarbeiter als sogenannte Sevakas (Aspiranten, Lernende, Yoga-Schüler, Übende) tätig. Diese lebten für einige Zeit in einem Ashram des Vereins und verrichteten entsprechende Sevadienste in der Küche, im Haushalt, im Garten, in der Gebäudeunterhaltung, in der Werbung und in der Buchhaltung. Auch der Yoga-Unterricht und die Leitung von Seminaren gehörten zu ihren Aufgaben. Eine der Mitarbeiterinnen war ursprünglich als Volljuristin tätig, bevor sie sich als Sevaka verdingte. Nach dem Austritt aus dem Verein machte sie nun geltend, es hätte sich bei ihrem Sevadienst um ein Arbeitsverhältnis gehandelt, und daher müsse sie rückwirkend auch eine Vergütung erhalten, die über das vom Verein gezahlte "Taschengeld" hinausginge.

Das LAG entschied in der Tat, dass der Verein für dreieinhalb Jahre insgesamt rund 42.000 EUR brutto nachzuzahlen habe. Maßgeblich seien die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie weitere Zeiten mit Vergütungspflicht. Hierfür falle der gesetzliche Mindestlohn an. Der Verein könne sich nicht darauf berufen, dass der Dienst für eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft erbracht worden sei. Diese Ausnahme sei hier nicht gegeben, vielmehr bestehe daher ein Arbeitsverhältnis. Auch die Vereinsautonomie stehe dem Zahlungsanspruch nicht entgegen.

Hinweis: Falls Ihnen der Fall bekannt vorkommt, könnte das daran liegen, dass sich bereits das BAG damit auseinandersetzen musste. Dieses hatte entschieden, dass in dieser Sache keine Ausnahme für eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft gemacht werden durfte, und sie daher an das LAG zurückverwiesen.


Quelle: LAG Hamm, Urt. v. 14.05.2024 - 6 Sa 1128/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)

Wenn, dann richtig: Urlaub muss als solcher eindeutig gewährt werden, um entsprechend anrechenbar zu sein

Mal ein paar Tage hintereinander frei zu haben, klingt wie Urlaub. Jedoch ist es rechtlich gesehen noch lange kein Urlaub, wenn ein Arbeitnehmer an mehreren (Arbeits-)Tagen im Jahr frei hat. Dass der Arbeitgeber dafür also entsprechende Urlaubstage anrechnen darf, ist nicht rechtens, wie der Arbeitgeber in einem Barbershop kürzlich vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) lernen musste.

Mal ein paar Tage hintereinander frei zu haben, klingt wie Urlaub. Jedoch ist es rechtlich gesehen noch lange kein Urlaub, wenn ein Arbeitnehmer an mehreren (Arbeits-)Tagen im Jahr frei hat. Dass der Arbeitgeber dafür also entsprechende Urlaubstage anrechnen darf, ist nicht rechtens, wie der Arbeitgeber in einem Barbershop kürzlich vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) lernen musste.

Sein Arbeitnehmer war in Teilzeit in einem Barbershop beschäftigt und arbeitete dort sehr unregelmäßig. An einzelnen Tagen kam er auf viele Überstunden, ein anderes Mal hatte er mehrere Arbeitstage hintereinander frei. Eine nachvollziehbare Aufstellung über seinen Einsatz führte weder er noch sein Arbeitgeber. Dann wurde das Arbeitsverhältnis beendet, und der Arbeitnehmer verlangte - wie so häufig - daraufhin auch die Ausbezahlung seines Urlaubs, die sogenannte Urlaubsabgeltung. Er war nämlich der Auffassung, dass er noch seinen vollen Urlaubsanspruch in Höhe von 30 Tagen habe, da ihm zu keinem Zeitpunkt Urlaub gewährt worden sei. Schließlich klagte er die Abgeltung der 30 Tage ein. Der Arbeitgeber meinte hingegen, dass der Arbeitnehmer immer wieder freie Arbeitstage gehabt habe und damit seinen Urlaub in Anspruch genommen hatte.

Die LAG-Richter stellten sich jedoch hinter den Arbeitnehmer - der Arbeitgeber wurde zur finanziellen Abgeltung von 30 Urlaubstagen verurteilt. Eine Urlaubsgewährung setze nämlich stets voraus, dass der Arbeitnehmer auch erkennen kann, dass seine Freistellung der Erfüllung des Urlaubsanspruchs diene und nicht etwa als Freizeitausgleich für Überstunden. Der Arbeitgeber hatte hier aber nie eindeutig Urlaub gewährt, so dass der Urlaubsanspruch noch in voller Höhe bestand.

Hinweis: Das Bundesurlaubsgesetz geht davon aus, dass der Arbeitnehmer den Urlaub beantragt und der Arbeitgeber ihm den Urlaub genehmigt - sofern keine dringenden betrieblichen Gründe oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer bestehen.


Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 19.03.2024 - 5 Sa 68/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 10/2024)