Ungewöhnlich, aber korrekt: Quittungsähnlicher Brief kann durchaus als Testament gelten

Aus einem Testament muss hervorgehen, dass es sich um eine letztwillige Verfügung des Erblassers handelt. Das klingt zunächst einmal nach einer großen Freiheit in der weiteren Gestaltung. So hatte es auch das Oberlandesgericht München (OLG) kürzlich einmal mehr mit einem eher ungewöhnlichen Testament zu tun - einem handschriftlich unterschriebenem Brief, der wie eine Quittung formuliert war. Ob dieses Schreiben den Anforderungen an ein Testament genügte, lesen Sie hier.

Aus einem Testament muss hervorgehen, dass es sich um eine letztwillige Verfügung des Erblassers handelt. Das klingt zunächst einmal nach einer großen Freiheit in der weiteren Gestaltung. So hatte es auch das Oberlandesgericht München (OLG) kürzlich einmal mehr mit einem eher ungewöhnlichen Testament zu tun - einem handschriftlich unterschriebenem Brief, der wie eine Quittung formuliert war. Ob dieses Schreiben den Anforderungen an ein Testament genügte, lesen Sie hier.

Der Erblasser war ledig und kinderlos. 1999 setzte er seine Lebensgefährtin in einem selbstgeschriebenen Testament als Alleinerbin zwar ein, unterschrieb dieses Blatt aber nicht. 2002 verfasste er zusätzlich ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Schreiben. Darin bestätigte er seiner Partnerin ein Darlehen für Hausumbauten und ordnete an, dass im Fall seines Todes der genannte Betrag vorab vom Nachlass abgezogen werde und "ihr als Erbin" zugutekomme. Beide Schriftstücke lagen in seinem Schreibtisch. Nach dem Tod beantragte eine Angehörige einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge; das Nachlassgericht kündigte die Erteilung an. Dagegen legte die Lebensgefährtin Beschwerde ein - mit Erfolg.

Das OLG stellte klar: Das Schriftstück von 1999 ist mangels Unterschrift zwar formunwirksam, darauf kommt es aber nicht an, weil das zusätzliche Schreiben von 2002 alle Anforderungen erfüllt und mit erkennbarer Absicht verfasst wurde, die Nachlassverteilung zu regeln. Zwar beginnt der Text wie eine Bestätigung bzw. Quittung. Entscheidend ist jedoch die eindeutige Anordnung "im Falle meines Todes" und der ausdrückliche Bezug auf die Partnerin "als Erbin". Damit bringt der Erblasser unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie seine Rechtsnachfolgerin sein soll. Dass der Brief zugleich eine Zahlung bestätigt, schadet nicht: Eine letztwillige Verfügung kann auch dann vorliegen, wenn sie mit anderen Erklärungen in einem einzigen Schriftstück verbunden ist - solange der Wille zur Erbeinsetzung zweifelsfrei zu erkennen ist. In der Folge wurde der Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und der Antrag der Angehörigen auf einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge zurückgewiesen.

Hinweis: Für ein wirksames handschriftliches Testament kommt es vor allem darauf an, dass es vollständig eigenhändig geschrieben und unterschrieben ist und klar erkennbar regelt, wer was bekommen soll. Auch ein schlicht formulierter, unterschriebener Brief kann genügen, wenn daraus eindeutig hervorgeht, dass eine Person als Erbe eingesetzt wird.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 09.10.2025 - 33 Wx 44/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Kein Geldbetrag fällig: Lidl darf seine App weiterhin als kostenlos bezeichnen

"Wenn etwas kostenlos ist, bist du das Produkt", ist ein weiser Spruch, der nicht erst durch das "www" oftmals bittere Wahrheit erfahren hat. Doch besonders seit Erfindung des Internets sind Daten eine harte Währung, die sich für Unternehmen jeglicher Art digital rentiert. Was aber rechtlich dran ist an diesen Worten, musste das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) klären. Die Frage war, ob ein Discounter seine App als "kostenlos" bezeichnen darf, obwohl dafür Nutzerdaten erhoben und verarbeitet werden.

"Wenn etwas kostenlos ist, bist du das Produkt", ist ein weiser Spruch, der nicht erst durch das "www" oftmals bittere Wahrheit erfahren hat. Doch besonders seit Erfindung des Internets sind Daten eine harte Währung, die sich für Unternehmen jeglicher Art digital rentiert. Was aber rechtlich dran ist an diesen Worten, musste das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) klären. Die Frage war, ob ein Discounter seine App als "kostenlos" bezeichnen darf, obwohl dafür Nutzerdaten erhoben und verarbeitet werden.

Lidl bietet seine App "Lidl Plus" an, über die die Kunden Rabatte, Sonderaktionen und personalisierte Angebote erhalten können. Für die Nutzung müssen Verbraucher die App installieren, persönliche Daten angeben und den Teilnahmebedingungen zustimmen, die satte 18 Seiten umfassen und unter anderem erklären, dass die Teilnahme "kostenlos" sei und welche Daten gespeichert und verwendet würden. Ein Verbraucherschutzverband hielt die App daher nicht für wirklich kostenlos, weil die Nutzer im Austausch für die Vorteile ihre Daten preisgeben müssten. Er verlangte, dass Lidl die Nutzung der App nicht mehr als kostenlos bezeichnen dürfe und einen "Gesamtpreis" angeben müsse.

Das OLG wies die Klage ab, ließ aber wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesgerichtshof zu. Nach Ansicht des Gerichts müssen die Nutzer für die App keinen Geldbetrag zahlen. Das deutsche und europäische Recht definieren einen Preis jedoch ausdrücklich als zu zahlenden Geldbetrag. Die Erhebung und Nutzung von Daten stelle dabei keinen derartigen Preis im rechtlichen Sinne dar. Deshalb durfte und darf Lidl die App als kostenlos bezeichnen. Wer die Teilnahmebedingungen liest, wird darüber informiert, welche Daten erhoben werden, und dass "kostenlos" nur bedeute, dass kein Geld verlangt werde. Wer die Bedingungen nicht lese, erfahre ohnehin nichts über die App, so dass auch kein irreführender Eindruck entstehe.

Hinweis: "Kostenlos" bezieht sich auf Geld, nicht auf Daten. Unternehmen müssen aber klar darlegen, welche Informationen sie sammeln und wie sie genutzt werden. Wer die Bedingungen liest, erhält alle notwendigen Informationen.


Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 23.09.2025 - 6 UKl 2/25
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 12/2025)

Berliner Vermieter scheitern: BGH lehnt selbständiges Beweisverfahren zur Feststellung der ortsüblichen Miete ab

Berlin scheint immer mehr zu einer Art Lackmustest zu werden, wenn im bundesweit hart umkämpften Wohnungsmarkt Grenzen des Machbaren ausgetestet werden. Von Berlin aus ging es schließlich bis nach Karlsruhe, und zwar zum dortigen Bundesgerichtshof (BGH). Der musste die Frage beantworten, ob Vermieter durch ein eigenständiges Beweisverfahren die ortsübliche Vergleichsmiete oder Wohnwertmerkmale einer Wohnung feststellen lassen können oder eben nicht.

Berlin scheint immer mehr zu einer Art Lackmustest zu werden, wenn im bundesweit hart umkämpften Wohnungsmarkt Grenzen des Machbaren ausgetestet werden. Von Berlin aus ging es schließlich bis nach Karlsruhe, und zwar zum dortigen Bundesgerichtshof (BGH). Der musste die Frage beantworten, ob Vermieter durch ein eigenständiges Beweisverfahren die ortsübliche Vergleichsmiete oder Wohnwertmerkmale einer Wohnung feststellen lassen können oder eben nicht.

Die Vermieter beantragten beim Amtsgericht (AG) ein schriftliches Gutachten eines Sachverständigen zu 18 Merkmalen der Wohnung, um eine Mieterhöhung zu begründen. Das AG lehnte den Antrag jedoch ab. Und auch das Landgericht bestätigte die Entscheidung seiner vorinstanzlichen Kollegen. Weil mögliche Mehreinnahmen aber bekanntlich eine sehr ernste und somit streitenswerte Angelegenheit sind, war damit noch nicht Schluss, und der BGH spielte letzten Endes das Zünglein an der Waage.

Auch der BGH bestätigte, dass das eigenständige Beweisverfahren unzulässig war. Das Gericht erklärte, dass ein solches Verfahren nur dann erlaubt ist, wenn ein rechtliches Interesse besteht, den Zustand oder Wert einer Sache festzustellen. Bei der ortsüblichen Vergleichsmiete oder den Wohnwertmerkmalen ist ein solches Interesse jedoch nicht gegeben, weil das Mieterhöhungsverfahren nach den §§ 558 ff. Bürgerliches Gesetzbuch andere Regelungen vorsieht und die Rechte des Mieters schützt. Würde man ein eigenständiges Beweisverfahren zulassen, könnten die gesetzlichen Fristen und Schutzvorschriften für Mieter umgangen werden. Außerdem könnte ein solches Verfahren den Zweck nicht erfüllen, einen Rechtsstreit zu vermeiden, weil es oft nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen abgeschlossen werden kann. Nach Auffassung des BGH ist der Schutz des Mieters durch das Mieterhöhungsverfahren selbst gewährleistet.

Hinweis: Vermieter können nicht einfach ein Sachverständigengutachten außerhalb des Mieterhöhungsverfahrens einholen, um die Miete zu erhöhen. Alle Anträge müssen den gesetzlichen Vorgaben und Fristen folgen. Eigenständige Beweisverfahren dienen nicht der Vorbereitung einer Mieterhöhung.


Quelle: BGH, Urt. v. 15.07.2025 - VIII ZB 69/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Unterlassungsanspruch nach Sanierung: Gemeinde muss Nachbargrundstücke vor Regenwassereintritt schützen

Wenn Gemeinden nicht nur den Willen zur Sanierung zeigen, sondern diese auch durchführen, sind Anlieger doch allgemein recht froh. Im folgenden Fall, der seinen Anfang 2008 nahm, war das nicht ganz der Fall. Denn Anwohner verlangten, dass ihre Gemeinde Maßnahmen gegen das Überlaufen von Regenwasser ergreift. Schließlich musste das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) klarstellen, dass sich auch Behörden an die Regeln des Wasser- und Nachbarrechts halten müssen.

Wenn Gemeinden nicht nur den Willen zur Sanierung zeigen, sondern diese auch durchführen, sind Anlieger doch allgemein recht froh. Im folgenden Fall, der seinen Anfang 2008 nahm, war das nicht ganz der Fall. Denn Anwohner verlangten, dass ihre Gemeinde Maßnahmen gegen das Überlaufen von Regenwasser ergreift. Schließlich musste das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) klarstellen, dass sich auch Behörden an die Regeln des Wasser- und Nachbarrechts halten müssen.

Die entsprechende Gemeinde hatte im Jahr 2008 eine Straße saniert, die direkt an ein privates Grundstück grenzte. Nach der Sanierung kam es bei starkem Regen immer wieder dazu, dass Regenwasser von der Straße auf das angrenzende Grundstück lief - unter anderem in den Jahren 2010 und 2022. Die Eigentümer sahen darin einen Fehler der Gemeinde, weil durch die Baumaßnahmen das seitliche Gefälle verändert und die Entwässerung unzureichend geplant worden war. Sie forderten, dass die Gemeinde künftig Maßnahmen ergreife, um das Übertreten von Wasser zu verhindern.

Das Landgericht gab ihnen recht, weil die Gemeinde die Ableitung des Regenwassers so verändert hatte, dass nunmehr eine Gefährdung des Nachbargrundstücks bestand. Das OLG bestätigte das Urteil der Vorinstanz. Es folgerte aus dem Verhalten der Gemeinde einen sogenannten Unterlassungsanspruch: Wer durch sein Handeln eine Gefahr für fremdes Eigentum schafft, muss dafür sorgen, dass diese Gefahr nicht eintritt. Ein derartiger Anspruch gelte nicht erst, wenn eine Überschwemmung tatsächlich erneut auftrete, sondern bereits dann, wenn eine solche Beeinträchtigung künftig zu befürchten sei. Das OLG betonte außerdem, dass der Anspruch sogar dann bestehen könne, wenn eine Beeinträchtigung bislang noch gar nicht stattgefunden habe - also schon bei einer sogenannten Erstbegehungsgefahr. Da die Gemeinde als Straßenbaulastträgerin die Regeln zum Ablauf von Regenwasser nicht beachtet hatte, war sie verpflichtet, Vorsorge zu treffen. Nach Ansicht des Gerichts waren die vorhandenen Entwässerungselemente - etwa Mulden, Rohre und Rinnen - zu klein dimensioniert und damit technisch unzureichend.

Hinweis: Auch öffentliche Stellen müssen sicherstellen, dass Wasser von ihren Flächen nicht auf Nachbargrundstücke übertritt. Eine Pflicht zum Handeln besteht daher schon dann, wenn künftig mit Schäden zu rechnen ist.


Quelle: OLG Brandenburg, Urt. v. 07.08.2025 - 5 U 89/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Fortsetzung zumutbar: Streit über Nebenkosten rechtfertigt keine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses

Eine hitzige Auseinandersetzung zwischen Vermieter und Mieter über die Nebenkostenabrechnung führte zu einem Wiedersehen beider Parteien vor dem Amtsgericht Saarbrücken (AG). Denn am Ende des Streits stand die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses, da eine unüberlegte Bemerkung des Mieters durch den Vermieter als ernsthafte Bedrohung gewertet wurde. Zu Recht?

Eine hitzige Auseinandersetzung zwischen Vermieter und Mieter über die Nebenkostenabrechnung führte zu einem Wiedersehen beider Parteien vor dem Amtsgericht Saarbrücken (AG). Denn am Ende des Streits stand die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses, da eine unüberlegte Bemerkung des Mieters durch den Vermieter als ernsthafte Bedrohung gewertet wurde. Zu Recht?

Der Mieter hatte sich mit dem Geschäftsführer seiner Vermieterin, einer Wohnungsgesellschaft, wegen der Nebenkostenabrechnung gestritten und soll dabei laut durchs Treppenhaus gerufen haben, er beschäftige Schwarzarbeiter. Außerdem sagte er: "Ich brech’ jetzt das Gespräch ab, sonst klatsche ich dir eine." Der Geschäftsführer sah darin eine Drohung, kündigte die Wohnung fristlos und verlangte die entsprechende Räumung.

Das AG sah die Sache jedoch anders. Denn was manchmal besonders in Mietshäusern stören kann, erwies sich hier als nützlich: Es gab Menschen, die der Situation beigewohnt hatten. Nach deren Zeugenaussagen konnte nicht bewiesen werden, dass der Mieter tatsächlich gedroht oder den Geschäftsführer körperlich bedroht hatte - im Gegenteil, er hatte sich vielmehr im Streit zurückgezogen, um eine Eskalation zu vermeiden. Seine Aussage, er müsse gehen, bevor er handgreiflich werde, verstand das Gericht nicht als Drohung, sondern als Versuch, die Situation zu beruhigen. Das Gespräch war zwar laut, doch beide Seiten hatten sich wohl deutlich im Ton vergriffen. Das allein reichte daher nicht aus, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der angebliche Vorwurf der Schwarzarbeit konnte ebenso nicht sicher festgestellt werden. Ein Zeuge erklärte, der Mieter habe lediglich über hohe Gartenpflegekosten gesprochen und dabei vermutet, dass etwas nicht korrekt abgerechnet worden sei. Und selbst, wenn er den Verdacht geäußert hätte, wäre das nach Ansicht des Gerichts kein so schweres Fehlverhalten gewesen, dass es eine sofortige Beendigung des Mietverhältnisses gerechtfertigt hätte. Insgesamt war der Vermieterin die Fortsetzung des Mietverhältnisses zuzumuten.

Hinweis: Nicht jede hitzige Auseinandersetzung zwischen Mieter und Vermieter ist ein Kündigungsgrund. Wer sich im Streit zurücknimmt oder die Situation abbricht, zeigt Deeskalation - und das spricht gegen eine fristlose Kündigung.


Quelle: AG Saarbrücken, Urt. v. 12.02.2025 - 3 C 181/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Nicht unabwendbarer Unfall: Mithaftung trotz Rotlichtverstoßes des Unfallgegners

Wer durch einen Rotlichtverstoß einen Unfall verursacht, ist doch wohl zu 100 % daran schuld, oder etwa nicht? Der Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) zeigt, dass sich die mutmaßlich unschuldig Geschädigten nicht zu schnell zurücklehnen sollten. Denn wie immer zahlen auch beim Offensichtlichen die Gesamtumstände ein, die hier selbst die Vorinstanz nicht gänzlich erfasst hatte.

Wer durch einen Rotlichtverstoß einen Unfall verursacht, ist doch wohl zu 100 % daran schuld, oder etwa nicht? Der Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) zeigt, dass sich die mutmaßlich unschuldig Geschädigten nicht zu schnell zurücklehnen sollten. Denn wie immer zahlen auch beim Offensichtlichen die Gesamtumstände ein, die hier selbst die Vorinstanz nicht gänzlich erfasst hatte.

Der Kläger fuhr mit dem Pkw seines Vaters innerorts in südliche Fahrtrichtung, der Beklagte kam ihm mit einem Linienbus aus nördlicher Richtung entgegen. Der Kläger ordnete sich im Kreuzungsbereich auf der Linksabbiegerspur hinter vier weiteren Fahrzeugen ein und fuhr nach dem Umschalten des Linksabbiegerpfeils auf Grün als fünftes und letztes Fahrzeug in die Kreuzung ein, um zu wenden. Der ihm entgegenkommende Beklagte kollidierte mit seinem Bus bei seiner Geradeausfahrt mit dem Fahrzeug des Klägers. Das Frankfurter Landgericht (LG) hatte der Schadensersatzklage bei Annahme einer alleinigen Haftung des Beklagten überwiegend stattgegeben. Doch das ließ der Busfahrer nicht auf sich sitzen, so dass die Sache vor dem OLG landete.

Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG entschieden, dass auch den Kläger eine Mithaftung trifft - und zwar in Höhe von 1/5. Somit greift zu Lasten des beklagten Busfahrers eine Haftung von 4/5. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war davon auszugehen, dass der Unfall für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis gewesen sei. Zu Lasten des Beklagten ging, dass die Ampel für den Bus unmittelbar vor der Kollision bereits seit mindestens 22 Sekunden Rot gezeigt hatte. Dass eine Fehlschaltung in Form eines sogenannten "feindlichen Grüns" (beispielsweise bei einem Defekt der Ampelanlage) vorgelegen hat, war auszuschließen. Darüber hinaus musste berücksichtigt werden, dass der Busfahrer mit 58 km/h - und damit mit leicht überhöhter Geschwindigkeit - gefahren war. Zu Lasten des Klägers sprach hingegen, dass dieser sich ungewöhnlich lange im Kreuzungsbereich aufgehalten hatte. Er beabsichtigte, unter Nutzung der Linksabbiegespur ein Wendemanöver durchzuführen. Dadurch habe er sich infolge der geringeren Geschwindigkeit länger (9 Sekunden) als üblich (4 bis 4,5 Sekunden) im Kreuzungsbereich aufgehalten. Er hätte die Kollision mit dem für ihn sichtbaren Bus bei rechtzeitiger Bremsung also vermeiden können. Zu guter Letzt war auch noch von einem Gelblichtverstoß des Klägers auszugehen. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge auf Seiten des Beklagten (Rotlichtverstoß, überhöhte Geschwindigkeit und erhöhte Betriebsgefahr des Busses) und des Klägers (Gelblichtverstoß, längeres Aufhalten im Kreuzungsbereich infolge Wendemanövers) führte zu einer Haftungsverteilung von 4/5 zu Lasten des Beklagten und 1/5 zu Lasten des Klägers.

Hinweis: Ist ein Verkehrsunfall für keinen der Beteiligten unabwendbar, sind die jeweiligen Verursachungsbeiträge am Zustandekommen des Unfalls zu würdigen. Der Rotlichtverstoß des Busfahrers wiegt deutlich schwerer als der Gelblichtverstoß des Pkw-Fahrers.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 23.09.2025 - 10 U 213/22
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Überholverbot außer Kraft: Linksabbiegender haftet nach Kollision mit Einsatzfahrzeug unter Vollalarm

Blaulicht und Sirene bedeuten Vollalarm und setzen die Rücksicht aller anderen Verkehrsteilnehmer voraus. Denn sie signalisieren, dass die sogenannte Wege- und Sonderrechte in Anspruch genommen werden. Wer sich weder an das signalisierte "Platz da, Menschen in Not" hält noch alle dazu notwendigen Vorsichtsmaßnahmen einhält, um weitere Gefahren abzuwenden, zieht im Schadensfall den Kürzeren. Das hat auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) so bewerten müssen.

Blaulicht und Sirene bedeuten Vollalarm und setzen die Rücksicht aller anderen Verkehrsteilnehmer voraus. Denn sie signalisieren, dass die sogenannte Wege- und Sonderrechte in Anspruch genommen werden. Wer sich weder an das signalisierte "Platz da, Menschen in Not" hält noch alle dazu notwendigen Vorsichtsmaßnahmen einhält, um weitere Gefahren abzuwenden, zieht im Schadensfall den Kürzeren. Das hat auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) so bewerten müssen.

Eine Frau war mit ihrem Auto auf einer Straße unterwegs, auf der ein Überholverbot galt. Sie verließ sich auf diese Beschilderung und wollte links in eine Tankstelleneinfahrt einbiegen. In genau diesem Moment wurde sie von einem Einsatzfahrzeug einer Hundestaffel überholt, das unter sogenanntem Vollalarm auf dem Weg zu einer Bombenentschärfung war. Dennoch knallte es, aber nun wegen der erfolgten Kollision der beiden Fahrzeuge. Die Autofahrerin war jetzt erwartungsgemäß der Ansicht, dass sie sich auf das Überholverbot habe verlassen dürfen, und forderte Schadensersatz. Ebenso zu erwarten war die Replik der Versicherung; die nämlich verweigerte die geforderte Zahlung unter Hinweis auf die Sonderrechte des Einsatzfahrzeugs.

Das OLG wies die Klage ab. Zum einen spreche der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig für ein Verschulden der Linksabbiegerin, wenn es zu einer Kollision kommt. Dieser Beweis war hier auch nicht durch das geltende Überholverbot erschüttert, denn die Frau hätte den Schulterblick machen müssen. Und natürlich waren dem Einsatzfahrzeug Sonderrechte eingeräumt, so dass es berechtigt war, gegen das Überholverbot zu verstoßen. Es war somit von einem alleinigen Verschulden der Autofahrerin auszugehen.

Hinweis: Das Einsatzfahrzeug war wegen der Alarmierung auf berechtigter Einsatzfahrt gewesen und daher von den Regeln der Straßenverkehrsordnung - insbesondere dem Überholverbot - befreit. Bei einer Einsatzfahrt dürften Fahrer grundsätzlich davon ausgehen, dass wegen der gebotenen Eile Sonderrechte in Anspruch genommen werden dürfen und diese auch beachtet werden.


Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 06.06.2025 - 7 U 87/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Streit der Erbengemeinschaft: Keine Einrichtung einer Nachlasspflegschaft, wenn lediglich die Erbquoten strittig sind

Eine Nachlasspflegschaft kann angeordnet werden, um den Nachlass einer verstorbenen Person zu sichern und zu verwalten, wenn kein handlungsfähiger Erbe vorhanden oder bekannt ist. Das Oberlandesgericht München (OLG) musste kürzlich entscheiden, ob eine Nachlasspflegschaft angeordnet werden muss, wenn zwar Uneinigkeit über die Erbquoten besteht, die Erben selbst aber feststehen.

Eine Nachlasspflegschaft kann angeordnet werden, um den Nachlass einer verstorbenen Person zu sichern und zu verwalten, wenn kein handlungsfähiger Erbe vorhanden oder bekannt ist. Das Oberlandesgericht München (OLG) musste kürzlich entscheiden, ob eine Nachlasspflegschaft angeordnet werden muss, wenn zwar Uneinigkeit über die Erbquoten besteht, die Erben selbst aber feststehen.

Ein verwitweter Mann hatte in einem Testament seine zweite Ehefrau und seine drei Kinder aus erster Ehe zu Erben bestimmt. Nach seinem Tod kam es zwischen den Erben zum Streit darüber, wer welchen Anteil am Nachlass erhalten sollte. Die Ehefrau wollte die Hälfte des Nachlasses beanspruchen, während die Kinder von einer gleichmäßigen Verteilung zu je einem Viertel ausgingen. Da die Kinder ohne Zustimmung der Ehefrau über Nachlassgegenstände verfügten, beantragte sie beim Nachlassgericht die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft. Das Amtsgericht gab dem Antrag zunächst statt.

Das OLG hob diese Entscheidung jedoch auf. Es stellte klar, dass die Bestellung eines Nachlasspflegers nach dem Gesetz nur dann zulässig ist, wenn der oder die Erben unbekannt sind - wenn also unklar ist, wer überhaupt erbt. Das war hier allerdings nicht der Fall: Die Erben waren namentlich bekannt und hatten die Erbschaft teils ausdrücklich, teils stillschweigend angenommen. Der Streit betraf nur die Höhe der jeweiligen Anteile. Solche Meinungsverschiedenheiten gehören zur internen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, rechtfertigen aber keine Nachlasspflegschaft.

Hinweis: Eine Nachlasspflegschaft dient allein der Sicherung des Nachlasses, wenn also unklar ist, wer Erbe ist oder ob jemand die Erbschaft annimmt. Sobald die Erben feststehen, bleiben Verwaltung und Klärung interner Streitfragen Sache der Erbengemeinschaft selbst.
 
 
 


Quelle: OLG München, Beschl. v. 27.10.2025 - 33 Wx 219/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Teure Pflichtverletzung: Betriebskosten dürfen nur in Ausnahmefällen anders verteilt werden als bislang üblich

In diesem Fall stolperte eine Vermieterin über ihre eigenen Füße. Denn das Landgericht Hanau (LG) bestätigte zwar, dass eine Änderung des Verteilungsschlüssels in der Betriebskostenabrechnung auch ohne Zustimmung des Mieters legitim sein kann. Doch dafür braucht es eine diese Ausnahme eindeutig begründende Argumentation. Und nun raten Sie mal, woran die Vermieterin am Ende völlig zu Recht scheiterte.

In diesem Fall stolperte eine Vermieterin über ihre eigenen Füße. Denn das Landgericht Hanau (LG) bestätigte zwar, dass eine Änderung des Verteilungsschlüssels in der Betriebskostenabrechnung auch ohne Zustimmung des Mieters legitim sein kann. Doch dafür braucht es eine diese Ausnahme eindeutig begründende Argumentation. Und nun raten Sie mal, woran die Vermieterin am Ende völlig zu Recht scheiterte.

Die Vermieterin verlangte von einem Mieter Nachzahlungen aus mehreren Betriebskostenabrechnungen sowie offene Mieten. Der Mieter zahlte jedoch nicht, weil er bemerkt hatte, dass die Vermieterin die Abrechnungen geändert hatte. Statt wie bisher nach Anzahl der im Haus lebenden Personen rechnete sie nun nach der Wohnfläche ab - was dazu führte, dass der Mieter mehr zahlen sollte. Er zog die zu viel berechneten Beträge sowie die Kosten für seinen Anwalt von den geforderten Nachzahlungen ab.

Das erstinstanzliche Amtsgericht gab ihm weitgehend recht und auch das LG sah keinen Grund, die Berechnungsweise der Vermieterin zu akzeptieren. Nach der Entscheidung des Gerichts war der ursprünglich verwendete Schlüssel nach Personen weiterhin verbindlich. Eine Änderung durfte nur mit Zustimmung des Mieters erfolgen. Nur wenn es für den Vermieter unzumutbar sei, den bisherigen Schlüssel weiterhin anzuwenden, könne  eine Anpassung ausnahmsweise erlaubt sein. Die Vermieterin behauptete zwar, es sei kaum möglich, die genaue Zahl der Bewohner festzustellen, doch diese Begründung überzeugte das LG nicht. Denn an anderer Stelle derselben Abrechnung verwendete sie den alten Schlüssel weiter - ohne zu erklären, warum dort keinerlei Probleme bestünden. Dadurch habe sie ihr Recht auf Änderung insgesamt verloren. Der Mieter durfte daher die überhöhten Kosten mit seinen Ansprüchen verrechnen und bekam zusätzlich die Anwaltskosten ersetzt, da die falsche Abrechnung eine Pflichtverletzung darstellte.

Hinweis: Vermieter können den Verteilungsschlüssel für Betriebskosten nur in Ausnahmefällen einseitig ändern. Wer an mehreren Stellen unterschiedlich abrechnet, riskiert, den Anspruch auf eine Änderung zu verlieren.


Quelle: LG Hanau, Urt. v. 15.08.2025 - 32 C 16/25
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Finger weg! Benutzung des Touchdisplay einer E-Zigarette fällt auch unter das "Handyverbot"

Was einst als "Handyverbot" gestartet ist, umfasst mittlerweile immer mehr Geräte, die am Steuer um unsere Aufmerksamkeit ringen. Und man darf gewiss sein, dass sich künftig noch mehr technische "Helferlein" um unser Interesse reißen werden. Deshalb gilt prinzipiell: Hände ans Lenkrad, Blick und Konzentration auf die Fahrsituation! Sonst findet man sich vor Gericht wieder, so wie in diesem Fall vor dem Oberlandesgericht Köln (OLG).

Was einst als "Handyverbot" gestartet ist, umfasst mittlerweile immer mehr Geräte, die am Steuer um unsere Aufmerksamkeit ringen. Und man darf gewiss sein, dass sich künftig noch mehr technische "Helferlein" um unser Interesse reißen werden. Deshalb gilt prinzipiell: Hände ans Lenkrad, Blick und Konzentration auf die Fahrsituation! Sonst findet man sich vor Gericht wieder, so wie in diesem Fall vor dem Oberlandesgericht Köln (OLG).

Ein Mann war im März 2024 auf einer Autobahn von zwei Polizeibeamten dabei beobachtet worden, wie er am Steuer seines fahrenden Autos Tippbewegungen auf einem Gerät vornahm. Die Beamten gingen dabei von der naheliegenden Nutzung eines Mobiltelefons aus. Die Stadt Siegburg verhängte gegen den Autofahrer deshalb eine Geldbuße über 150 EUR. Der Einspruch des Betroffenen hatte vor dem Siegburger Amtsgericht im Ergebnis keinen Erfolg. In der Beweisaufnahme stellte sich aber heraus, dass der Autofahrer kein Handy benutzt, sondern den Stärkegrad seiner E-Zigarette auf deren Touchdisplay geändert hatte.

Die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde des Autofahrers hatte in der Sache dennoch keinen Erfolg. Das Tippen auf dem Touchdisplay einer E-Zigarette zur Veränderung ihres Stärkegrads verstößt ebenfalls gegen das Verbot der Nutzung elektronischer Geräte durch Fahrzeugführende. Eine E-Zigarette mit Touchdisplay ist ein Gerät mit "Berührungsbildschirm" im Sinne der einschlägigen Vorschrift, die das sogenannte Handyverbot regelt. Zudem hält eine E-Zigarette auch weitere Informationen bereit, sobald die veränderte Dampfstärke auf einem Touchdisplay angezeigt wird. Zwar bestehe der Zweck einer E-Zigarette in erster Linie in der Produktion von Dämpfen zum Einatmen. Die Regelung der Dampfstärke über ein Touchdisplay stelle aber eine Hilfsfunktion dar, die ihre Hauptfunktion unterstützt. Ihre Bedienung begründe auch ein erhebliches Ablenkungspotential für den Fahrzeugführer, das sich nicht von der Veränderung der Lautstärke eines Mobiltelefons unterscheidet. Daher liegt in der Einstellung der Dampfstärke über das Touchdisplay ein verbotswidriges Benutzen.

Hinweis: Unter das Handyverbot fallen alle elektronischen Geräte, die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen und dafür in der Hand gehalten werden, wie Mobiltelefone, Smartphones, Tablets und Navigationsgeräte. Auch andere Geräte, die diese Funktionen haben können - wie elektronische Terminplaner, E-Book-Reader, Laptops, Smartwatches, Videorekorder und Audiorekorder - sind eingeschlossen.


Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 25.09.2025 - III-1 ORbs 139/25
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)