Schadensersatz nach Diebstahl: Kliniken haben besondere Obhutspflicht für persönliche Habe von Patienten

Wer als Notfall ins Krankenhaus kommt, kann häufig nicht mehr auf seine persönlichen Gegenstände aufpassen. Wer in solchen Fällen dafür zuständig ist, dass im Optimalfall Patienten und deren persönliche Habe wohlbehalten wieder aus den Kliniken herauskommen, musste im folgenden Fall das Oberlandesgericht Hamm (OLG) klären.

Wer als Notfall ins Krankenhaus kommt, kann häufig nicht mehr auf seine persönlichen Gegenstände aufpassen. Wer in solchen Fällen dafür zuständig ist, dass im Optimalfall Patienten und deren persönliche Habe wohlbehalten wieder aus den Kliniken herauskommen, musste im folgenden Fall das Oberlandesgericht Hamm (OLG) klären.

Eine 95-Jährige hatte in Begleitung ihrer Haushaltshilfe wegen Atembeschwerden ihre Hausärztin aufgesucht. Nachdem ihr Blutdruck gemessen und ein EKG geschrieben worden war, wurde sie auf Veranlassung der Ärztin mit einem Rettungswagen in die Notaufnahme eines Klinikums verbracht. Bei ihrer dortigen Aufnahme war die Klägerin zumindest mit Leibwäsche, einem Wollpullover, einer Stoffhose und Lederschuhen bekleidet. Im weiteren Verlauf wurde sie liegend zu einer Röntgenuntersuchung, anschließend wieder zurück in die Notaufnahme und von dort aus nach Abschluss der Untersuchungen auf die Station verbracht. Mehrere mit einem Namensaufkleber der Frau versehene Tüten für Patienteneigentum, die zu einem nicht näher aufklärbaren Zeitpunkt der Untersuchungen existierten und deren Inhalt zwischen den Parteien streitig blieb, haben dies leider nicht geschafft. Sie blieben verschollen. Einen Tag später schlossen die Parteien dann einen schriftlichen Behandlungsvertrag, der auch eine Haftungsbeschränkung für Sachen beinhaltete. Trotzdem verlangte die Frau Schadensersatz für die Kleidung und Gegenstände, die abhandengekommen waren. Es handelte sich um eine Brille mit einem Zeitwert von 1.400 EUR und Hörgeräte mit einem Zeitwert von 2.799 EUR. Als die Klinik das Geld nicht ersetzen wollte, klagte die Patientin.

Hätte die Klinik besser bezahlt - denn vom OLG erhielt die alte Dame insgesamt 5.106 EUR zugesprochen. Es bestand eine besondere Obhutspflicht der Klinik für die persönliche Habe der Patienten. Die Klinik hat bei einer Notaufnahme die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um die persönlichen Gegenstände der Patienten zu sichern.

Hinweis: Krankenhäuser müssen dringend überlegen, wie sie in Zeiten starker Personalknappheit künftig ihrer besonderen Obhutspflicht nachkommen können.


Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 21.07.2023 - 26 U 4/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 12/2023)

Untervermietung der Einzimmerwohnung: Korrekte Teilüberlassung, sobald Mieter den Gewahrsam am Wohnraum nicht gänzlich aufgibt

Mieter dürfen in aller Regel untervermieten, nachdem sie ihren Vermieter um eine entsprechende Genehmigung gebeten haben. Eine Untervermietung einer Einzimmerwohnung erscheint auf den ersten Blick zwar unsinnig, was auch der beklagte Vermieter in diesem Fall so sah. Der Bundesgerichtshof (BGH) warf jedoch einen Blick mehr auf die Details des mieterseitigen Ansinnens und befand in der Folge, dass ein solches unter ganz bestimmten Voraussetzungen durchaus nachvollziehbar sein kann.

Mieter dürfen in aller Regel untervermieten, nachdem sie ihren Vermieter um eine entsprechende Genehmigung gebeten haben. Eine Untervermietung einer Einzimmerwohnung erscheint auf den ersten Blick zwar unsinnig, was auch der beklagte Vermieter in diesem Fall so sah. Der Bundesgerichtshof (BGH) warf jedoch einen Blick mehr auf die Details des mieterseitigen Ansinnens und befand in der Folge, dass ein solches unter ganz bestimmten Voraussetzungen durchaus nachvollziehbar sein kann.

Ein Mieter hatte eine Einzimmerwohnung gemietet. Dann bat er seine Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung für rund anderthalb Jahre. Er benannte auch die bestimmte Person, die als Untermieter einziehen sollte. Die Vermieter lehnten die Bitte jedoch ab, und der Mieter erhob eine Klage auf Erlaubnis der Untervermietung eines Teils der Wohnung. Er trug vor, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiterhin in der Wohnung lagern. Tatsächlich blieben persönliche Gegenstände in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen und durch einen Vorhang abgetrennten Bereich. Außerdem bliebe der Mieter im Besitz eines Wohnungsschlüssels. Deshalb gewann er die Klage.

Ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten kann auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Die Vorschrift stelle in Augen des BGH weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen zu dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten ist daher regelmäßig bereits dann auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt, wie hier geschehen.

Hinweis: Mieter sollten vor einer Untervermietung stets den Vermieter um Zustimmung bitten. In aller Regel wird der Vermieter dagegen nichts einwenden können.


Quelle: BGH, Urt. v. 13.09.2023 - VIII ZR 109/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2023)

Rechtsbindungswille bei Schlüsseltausch: Ohne Verwahrungsvertrag kein Schadensersatz nach Austausch von Türschloss

Blumen gießen, Post ablegen, Katze füttern - noch viele Gründe mehr sprechen dafür, vertrauenswürdigen Nachbarn für den Urlaubs- oder Notfall einen Wohnungsschlüssel zu überlassen. Was aber passiert in Fällen, in denen eben jener einst so vertrauenswürdige Mensch die Rückgabe des Schlüssels verweigert? Der Fall des Amtsgerichts München (AG) gibt Antwort.

Blumen gießen, Post ablegen, Katze füttern - noch viele Gründe mehr sprechen dafür, vertrauenswürdigen Nachbarn für den Urlaubs- oder Notfall einen Wohnungsschlüssel zu überlassen. Was aber passiert in Fällen, in denen eben jener einst so vertrauenswürdige Mensch die Rückgabe des Schlüssels verweigert? Der Fall des Amtsgerichts München (AG) gibt Antwort.

Zwei Brüder waren Nachbarn und hatten für Notfälle Haustürschlüssel ausgetauscht. Und wie es zwischen Familienmitgliedern vorkommen kann, kam es zum Streit zwischen den beiden. Kurz vor Weihnachten forderte der eine den anderen Bruder bereits zum zweiten Mal zur Rückgabe der Schlüssel auf. Andernfalls würde er das Schloss austauschen und ihm die Kosten hierfür in Rechnung stellen. Im April wurde dann tatsächlich das Schloss ausgetauscht, Mitte Juni erhielt der Bruder vom anderen den Schlüssel zurück. Ihm sei eine frühere Rückgabe unter anderem aufgrund von Krankenhausaufenthalten nicht möglich gewesen. Die Kosten für den Austausch des Schlosses von knapp 700 EUR sollte er trotzdem erstatten - deshalb wurde geklagt.

Das AG wies die Klage jedoch ab. Die gegenseitige Aufbewahrung des Schlüssels war eine reine Gefälligkeit ohne Rechtsbindungswillen. Deshalb hatten die beiden Brüder auch keinen Verwahrungsvertrag geschlossen. Ohne den Abschluss eines entsprechenden Vertrags gibt es in der Folge auch keinen Schadensersatz.

Hinweis: Mieter und Eigentümer sollten sich gut überlegen, wem sie einen Schlüssel der Wohnung oder des Hauses für den Notfall übergeben. Es sollte stets klargestellt werden, dass der Schlüssel nicht ohne ausdrückliches Einverständnis benutzt werden darf.


Quelle: AG München, Urt. v. 19.07.2023 - 222 C 14447/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2023)

Die eingeworfenen Schlüssel: Verjährungsfrist startet mit Erhalten der Verfügungsmacht über Mietsache

Manche Beziehungen möchte man so schnell wie möglich beenden und hinter sich lassen. Ob es aber ratsam ist, für die Rückgabe einer Mietwohnung die Schlüssel einfach in den Briefkasten des Vermieters zu werfen, musste  das Oberlandesgericht Hamm (OLG) klären. Der Vermieter war ganz anderer Ansicht und forderte nach dieser formlosen Beendigung des Mietverhältniss eine hohe Summe Geld.

Manche Beziehungen möchte man so schnell wie möglich beenden und hinter sich lassen. Ob es aber ratsam ist, für die Rückgabe einer Mietwohnung die Schlüssel einfach in den Briefkasten des Vermieters zu werfen, musste  das Oberlandesgericht Hamm (OLG) klären. Der Vermieter war ganz anderer Ansicht und forderte nach dieser formlosen Beendigung des Mietverhältniss eine hohe Summe Geld.

Die Mieterin hatte eine Halle nebst Lagerbüro sowie außenliegende Stellplätze angemietet. Dann erklärte sie am 10.03.2020 die Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt - ihrer Ansicht nach der 17.06.2020. Am 18.03.2020 wies der Vermieter allerdings darauf hin, dass das Mietverhältnis durch die Kündigung erst zum 30.04.2021 enden würde. Bis zum 31.12.2020 nutzte die Mieterin das Mietobjekt weiter und warf an diesem Tag die Schlüssel in den Briefkasten des Vermieters. Der wies dieses zum einen zurück und forderte die Mieterin zum anderen auf, verursachte Schäden bis spätestens zum 19.06.2021 zu beseitigen. Schließlich forderte er nach Ablauf der Frist die Zahlung von über 47.000 EUR für Miete und Schadensersatz. Die Mieterin meinte daraufhin, die Schadensersatzansprüche seien verjährt, da sie binnen sechs Monaten nach Rückerhalt der Mietsache gerichtlich geltend zu machen sind.

Zumindest bezüglich der Schadensersatzansprüche sah dies das OLG genauso. Die Verjährung war spätestens am 08.01.2021 in Gang gesetzt worden. Erhält der Vermieter den Besitz an dem Mietobjekt durch Einwurf der Schlüssel in seinen Briefkasten zurück und behält er diese Schlüssel dann, beginnt die kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten mit Kenntnis des Vermieters von dem Schlüsseleinwurf auch dann zu laufen, wenn das Mietverhältnis noch nicht beendet und der Vermieter nicht rücknahmebereit ist.

Hinweis: Die Berechnung der Verjährungsfrist ist für Vermieter ganz wichtig. Denn die Frist beträgt lediglich sechs Monate für Schäden am Mietobjekt. Die Frist beginnt also, wie dieser Fall zeigt, mit Erhalten der Verfügungsmacht über die Mietsache. Und das ist offensichtlich dann gegeben, wenn der Vermieter die Schlüssel bekommt - ob er will oder nicht.


Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 01.09.2023 - 30 U 195/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2023)

Keine wirksame Erbeinsetzung: Beispielhafte Benennung im Testament zur Deutlichmachung von Erbvoraussetzungen reicht nicht

In dem Fall hatte eine im Jahr 2021 verstorbene kinderlose und verwitwete Erblasserin ein handschriftliches Testament errichtet und dort verfügt: "Die Person, die mich bis zu meinem Tode pflegt und betreut, soll mein gesamtes Vermögen bekommen! Zurzeit ist dies: Frau xx.xx." Die Frage, die sich dem Oberlandesgericht München (OLG) nun stellte, war, ob eine solche beispielhafte Benennung für die Erteilung eines Erbscheins an "Frau xx.xx." ausreicht.

In dem Fall hatte eine im Jahr 2021 verstorbene kinderlose und verwitwete Erblasserin ein handschriftliches Testament errichtet und dort verfügt: "Die Person, die mich bis zu meinem Tode pflegt und betreut, soll mein gesamtes Vermögen bekommen! Zurzeit ist dies: Frau xx.xx." Die Frage, die sich dem Oberlandesgericht München (OLG) nun stellte, war, ob eine solche beispielhafte Benennung für die Erteilung eines Erbscheins an "Frau xx.xx." ausreicht.

Nach dem Tod der Erblasserin beantragte die in dem Testament benannte Dame nämlich die Erteilung eines solchen Erbscheins. Diesen Antrag lehnte das OLG im Ergebnis jedoch ab, da es in dem handschriftlichen Testament der Erblasserin keine wirksame Erbeinsetzung gesehen hat. Zwar werde die Antragstellerin in dem Testament namentlich genannt - die Erblasserin habe aber gerade keine bestimmte Person als Erbin eingesetzt. Im Grunde habe sie lediglich die Voraussetzungen festgelegt, die ein Erbe erfüllen müsse, um in die Erbfolge eintreten zu können.

Durch die Verwendung des Wortes "zurzeit" sei keine endgültige Benennung einer Rechtsnachfolge im wirtschaftlichen Sinne erfolgt. Die Anordnung, dass derjenige die Zuwendung erhalten solle, der sie "pflegt und betreut", führe dazu, dass die Erblasserin lediglich beispielhaft eine Person genannt hatte, die im Moment der Testamentserstellung die Voraussetzungen erfüllt habe. Entscheidend sei aber für die Wirksamkeit eines Testaments, dass der Erblasser die Bestimmung der Person, die eine Zuwendung im Sinne einer Erbeinsetzung erhalten soll, nicht einem anderen überlassen darf. Das OLG ging daher davon aus, dass die testamentarische Verfügung unwirksam war.

Hinweis: Die Bestimmung einer Person als Erben darf nicht einem Dritten überlassen werden. Es ist aber möglich, die Bezeichnung der Person an einen Dritten zu übertragen. In diesem Fall müssen sich aber aus dem Testament eindeutige Hinweise ergeben, die eine Identifizierung der bedachten Person ohne weiteres möglich machen.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 25.09.2023 - 33 Wx 38/23 e
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 12/2023)

Notwegerecht durchgesetzt: Anrecht auf ordnungsgemäße Wegenutzung ohne hinderliche Pflanzsteine

Wird der einzige Weg zu einem Grundstück versperrt, ist ein Rechtsstreit vorprogrammiert. Denn egal, wobei man sich im Recht fühlt - entscheiden können dies nur die Gerichte, wie hier das Landgericht Lübeck (LG). An dieses wandte sich der Kläger gegen seine sich ebenfalls im Recht fühlende Nachbarin, nachdem diese ihm den Zugang zu seiner Parzelle verwehrte.

Wird der einzige Weg zu einem Grundstück versperrt, ist ein Rechtsstreit vorprogrammiert. Denn egal, wobei man sich im Recht fühlt - entscheiden können dies nur die Gerichte, wie hier das Landgericht Lübeck (LG). An dieses wandte sich der Kläger gegen seine sich ebenfalls im Recht fühlende Nachbarin, nachdem diese ihm den Zugang zu seiner Parzelle verwehrte.

Dabei handelte es sich um eine Gartenparzelle als sogenanntes Inselgrundstück ohne eigene Zuwegung, das über einen Wirtschaftsweg begehbar war, dessen Ausgang auf einem fremden Grundstück verlief. Die Eigentümerin des Grundstücks, auf dem der entsprechende Wirtschaftsweg verlief, versperrte dann den Zugang mit Pflanzsteinen über die gesamte Breite des Wegs. Das wollte sich der Eigentümer der Gartenparzelle nicht bieten lassen und klagte. Er war der Ansicht, für ihn bestehe ein Notwegerecht zur Nutzung des Wegs. Die Eigentümerin des Grundstücks mit dem Weg behauptete dagegen, das Gartengrundstück würde durch den Kläger ohnehin nur genutzt, um dort Alkohol zu konsumieren.

Das LG hat die Eigentümerin dazu verurteilt, die Pflanzsteine von dem Wirtschaftsweg zu entfernen. Durch die aufgestellten Pflanzsteine wurde der Mann an seinem Notwegerecht beeinträchtigt. Ein Notwegerecht berechtigt zur ordnungsgemäßen Benutzung des Grundstücks. Dies richtet sich nach Lage, Größe und Wirtschaftsart. Gedeckt hiervon ist auch das Begehen des Notwegs mit einer Schubkarre zur Gartenbewirtschaftung, auch wenn diese beladen ist.

Hinweis: Die Durchsetzung des eigenen Rechts durch das Schaffen von Fakten ist keine gute Idee. In einem Rechtstaat führt das meist zu einem strafbaren Verhalten. Denn für die Durchsetzung des Rechts sind die Gerichte da.


Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 18.08.2023 - 3 O 309/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2023)

Kein unvermeidbarer Verbotsirrtum: Mercedes haftet nach Einbau einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung

Beim Thema "Abschalteinrichtung" ist noch lange nicht alles ausgeurteilt. Das beweist auch der Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLG), bei dem es nicht etwa um geschönte Dieselabgaswerte, sondern um die sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) ging. Die zentrale Frage hierbei war, ob bei der KSR wie beim Thermofenster eine Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz durch den Hersteller deswegen entfällt, weil dieser sich auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen kann.

Beim Thema "Abschalteinrichtung" ist noch lange nicht alles ausgeurteilt. Das beweist auch der Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart (OLG), bei dem es nicht etwa um geschönte Dieselabgaswerte, sondern um die sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) ging. Die zentrale Frage hierbei war, ob bei der KSR wie beim Thermofenster eine Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz durch den Hersteller deswegen entfällt, weil dieser sich auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen kann.

Eine solche Unvermeidbarkeit liegt dann vor, wenn der Hersteller auch bei äußerster Gewissensanspannung nicht hätte erkennen können, dass er Unrecht verwirklicht. Bei Zweifeln müsse sich der Hersteller bei einer fachkundigen und zuverlässigen Stelle erkundigen. Und hier spielte das Kraftfahrt-Bundesamt den Herstellern in die Karten, das die herstellerübergreifend in Dieselfahrzeugen zum Einsatz gekommenen Thermofenster nach jahrelanger Kenntnis und Genehmigungspraxis bis ins Jahr 2020 nicht beanstandet hatte. Bei der KSR verhielt es sich nach Ansicht des OLG jedoch anders.

Hier sah der Senat ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten, die den Einbau der KSR auch gar nicht erst bestritt. Das Gericht war der Überzeugung, dass sich die für die Beklagte handelnden Personen in keinem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden hatten. Seine Überzeugung stützte der Senat dabei auch darauf, dass das Kraftfahrt-Bundesamt hierzu keine derartige Kenntnis und Genehmigungspraxis habe walten lassen wie beim Thermofenster. Einen beachtlichen Rechtsirrtum über die Zulässigkeit der KSR habe die Beklagte auch nicht dargelegt, zumal sich diese hinsichtlich der KSR auch nicht auf einen vergleichbaren Vertrauenstatbestand wie beim Thermofenster stützen konnte.

Hinweis: Das OLG hat unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (vom 21.03.2023 - C-100/21) sowie des Bundesgerichtshofs (vom 26.06.2023 - VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) daher entschieden, dass dem Kläger ein Schadensersatzanspruch zusteht (aus § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung).


Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 19.10.2023 - 24 U 103/22
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2023)

Mietwagenkostenrückerstattung: Laien dürfen sich auf Einschätzung des Privatgutachters hinsichtlich Notreparatur verlassen

Wenn ein Privatgutachter zur Einschätzung kommt, dass die Notreparatur eines Unfallfahrzeugs unwirtschaftlich ist, sollte sich ein Laie doch darauf verlassen und einen Mietwagen beschaffen dürfen - oder etwa nicht? Weil die Frage der Verhältnismäßigkeit offensichtlich nicht so klar war, ging sie in Sachen Kostenerstattung für den Mietwagen vom Landgericht Hannover (LG) schließlich bis zum Oberlandesgericht Celle (OLG).

Wenn ein Privatgutachter zur Einschätzung kommt, dass die Notreparatur eines Unfallfahrzeugs unwirtschaftlich ist, sollte sich ein Laie doch darauf verlassen und einen Mietwagen beschaffen dürfen - oder etwa nicht? Weil die Frage der Verhältnismäßigkeit offensichtlich nicht so klar war, ging sie in Sachen Kostenerstattung für den Mietwagen vom Landgericht Hannover (LG) schließlich bis zum Oberlandesgericht Celle (OLG).

In dem zugrundeliegenden Fall klagte die Geschädigte eines Verkehrsunfalls vor dem LG auf Erstattung der Mietwagenkosten. Sie hatte sich bis zur Reparatur des verunfallten Fahrzeugs einen Mietwagen beschafft, und der von ihr beauftragte Privatgutachter kam zur Einschätzung, dass eine Notreparatur des Fahrzeugs unwirtschaftlich sei. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige hatte hingegen die Notreparatur für durchaus wirtschaftlich erachtet. Das LG wies die Klage der Klägerin daher ab - weiter ging es mit Berufung der Klägerin zum OLG.

Das OLG entschied schließlich zugunsten der Klägerin. Ihr stehe ein Anspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten zu. Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht sei der Klägerin nicht anzulasten. Sie hätte keine Notreparatur ihres Fahrzeugs veranlassen müssen. Sie habe der plausiblen und nachvollziehbaren Einschätzung des von ihr beauftragten Sachverständigen folgen dürfen. Für die Klägerin als Laiin sei die Einschätzung der Wirtschaftlichkeit einer Notreparatur nicht erkennbar gewesen.

Hinweis: Der vom LG beauftragte Sachverständige hat - entgegen den privatgutachterlichen Feststellungen - dargelegt, dass er eine Notreparatur für möglich und wirtschaftlich erachtet hätte. Er hat in seiner persönlichen Anhörung aber auch bekundet, dass der Privatgutachter die Wirtschaftlichkeit bzw. Möglichkeit einer Notreparatur nicht hätte erkennen können, weil dieser - unterstellt - keinen Zugriff auf das VW-Bestellsystem gehabt habe. Ebenso hätte die Geschädigte als Laiin nicht die Möglichkeit einer Notreparatur erkennen können.


Quelle: OLG Celle, Urt. v. 13.09.2023 - 14 U 19/23
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2023)

Missachtete Mitbestimmung: Verstoß durch Arbeitgeberin begründet kein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats

Wer das Mitbestimmungsrecht seines Betriebsrats missachtet, sieht seinen betrieblichen Personalplanungen schnell Grenzen aufgezeigt. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG) wurde um die Ersetzung einer - nach einem Verstoß - verweigerten Zustimmung gebeten und behielt dabei auch das Interesse des Arbeitnehmers im Auge, dessen begehrte Versetzung auf dem Spiel stand.

Wer das Mitbestimmungsrecht seines Betriebsrats missachtet, sieht seinen betrieblichen Personalplanungen schnell Grenzen aufgezeigt. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG) wurde um die Ersetzung einer - nach einem Verstoß - verweigerten Zustimmung gebeten und behielt dabei auch das Interesse des Arbeitnehmers im Auge, dessen begehrte Versetzung auf dem Spiel stand.

In einer Gießerei mit knapp 1.000 Mitarbeitern gab es einen 15-köpfigen Betriebsrat. Als eine Stelle ausgeschrieben wurde, verwendete die Arbeitgeberin Interviewbogen. Darin waren Punkte für einzelne Kriterien aufgeführt, die zu einer aufgeführten Gesamtpunktzahl führten. Ebenso befanden sich darin weitere Erläuterungen zu den einzelnen Bewerbern. Nach den Gesprächen entschied sich die Arbeitgeberin für einen bereits bei ihr beschäftigten Mitarbeiter, der die Stelle bekommen sollte. Sie beantragte deshalb beim Betriebsrat die Zustimmung zur Versetzung des Mitarbeiters auf den neuen Posten. Sie teilte dem Betriebsrat den Ablauf des Bewerbungsverfahrens mit und fügte die ausgefüllten Interviewbogen bei. Der Betriebsrat verweigerte jedoch seine Zustimmung zur geplanten Versetzung. Eine Zustimmung des Betriebsrats zur Verwendung der Interviewbogen lag nicht vor. Und da er nicht bereits unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen unterrichtet worden war, verletze die Verwendung der Bogen in dem Bewerbungsgespräch seine Mitbestimmungsrechte gemäß § 94 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Danach bedürfen Personalfragebogen der Zustimmung des Betriebsrats. Daraufhin beantragte die Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats.

Das LAG hat dem Antrag der Arbeitgeberin stattgegeben und damit die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Mitarbeiters in die Position als Koordinator Elektrotechnik ersetzt. Es lag schlicht und ergreifend kein Zustimmungsverweigerungsgrund vor. Zwar hatte sich der Betriebsrat in genügender Weise auf einen Verstoß gegen § 94 BetrVG bezogen. Ein solcher Verstoß begründet aber keinen Zustimmungsverweigerungsgrund zu einer Versetzung oder Einstellung. Verwendet die Arbeitgeberin bei der Stellenbesetzung nicht durch den Betriebsrat mitbestimmte Personalfragebogen oder Beurteilungsgrundsätze, begründet ein solcher Verstoß durch die Arbeitgeberin kein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats.

Hinweis: Es ist also eindeutig klar, dass der Betriebsrat bei der Verwendung von Personalfragebogen und Beurteilungsgrundsätzen zu beteiligen ist. Wird das unterlassen, kann der Betriebsrat dagegen vorgehen. Ein Verstoß führt aber eben nicht zu einem Zustimmungsverweigerungsgrund des Betriebsrats bei einer Versetzung oder Einstellung.


Quelle: LAG Düsseldorf, Beschl. v. 02.08.2023 - 12 TaBV 46/22
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 12/2023)

Väter durch Leihmutterschaft: Biologische Grenzen der Fortpflanzung sind keine steuerlich absetzbare außergewöhnliche Belastung

Zwei Männer, die seit 2017 verheiratet sind, haben im selben Jahr über eine Leihmutter in den USA ein Kind bekommen, das bei ihnen in Deutschland lebt. Die erheblichen Kosten, die rund um die Zeugung des Kindes entstanden waren, wollten die Männer als außergewöhnliche Belastung bei der Einkommensteuer absetzen (§ 33 Abs. 1 Einkommensteuergesetz). Da das Finanzamt die Kosten nicht anerkannte, ging die Sache bis vor den Bundesfinanzhof (BFH).

Zwei Männer, die seit 2017 verheiratet sind, haben im selben Jahr über eine Leihmutter in den USA ein Kind bekommen, das bei ihnen in Deutschland lebt. Die erheblichen Kosten, die rund um die Zeugung des Kindes entstanden waren, wollten die Männer als außergewöhnliche Belastung bei der Einkommensteuer absetzen (§ 33 Abs. 1 Einkommensteuergesetz). Da das Finanzamt die Kosten nicht anerkannte, ging die Sache bis vor den Bundesfinanzhof (BFH).

Nach deutschem Recht war die Vorgehensweise wegen des Embryonenschutzgesetzes verboten - mit dieser Begründung verweigerte das Finanzamt, die Kosten anzuerkennen. Die Männer argumentierten, dass die Aufwendungen denen entsprechen, die jemand bei Vorliegen einer Erkrankung hat, sie seien schließlich ungewollt kinderlos geblieben. Die Zeugungs- oder Empfängisunfähigkeit gilt nach der Defintion der WHO als Erkrankung. Hinzu komme, dass der starke unerfüllte Kinderwunsch eine Depression ausgelöst habe, die mit der Zeugung des Kindes behandelt worden sei.

Den Argumenten der Männer stimmte der BFH nicht zu: Die ungewollte Kinderlosigkeit der Kläger gründe nicht auf einem regelwidrigen körperlichen Zustand eines oder beider Partner, sondern auf den biologischen Gegebenheiten. Die Vorstellung, die Reproduktion eines Kindes im Wege der Ersatzmutterschaft sei als eine medizinisch indizierte Heilbehandlung zu betrachten, sei nicht mit dem Grundrecht des Kindes auf Unantastbarkeit der Menschenwürde vereinbar. Denn ein solches Verständnis würde das Kind zu einem bloßen Objekt herabwürdigen, das zur Linderung einer seelischen Krankheit des Mannes diente. Der Entschluss, eine Ersatzmutterschaft zu begründen, beruhte auch nicht auf einer rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Zwangslage, sondern auf der freiwilligen Entscheidung, ein Kind zu haben. Hinzu kam dann noch der schon vom Finanzamt genannte Grund, dass die den Aufwendungen zugrundeliegenden Maßnahmen nicht mit der deutschen Rechtsordnung im Einklang standen.

Hinweis: Aufwendungen eines gleichgeschlechtlichen (Ehe-)Paars im Zusammenhang mit einer Ersatzmutterschaft sind nicht als außergewöhnliche Belastung steuerlich zu berücksichtigen. Kosten, die der Heilbehandlung ungewollter Kinderlosigkeit dienen, sind hingegen als absetzbare Ausgaben anerkannt.


Quelle: BFH, Urt. v. 10.08.2023 - VI R 29/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 12/2023)